Rente, Lohngleichheit, innere Sicherheit, die Lage in Syrien – es war eine lange Liste an Themen, die Spitzenvertreter der deutschen Koalition diese Woche im Berliner Kanzleramt abzuarbeiten hatten. Schließlich will man das letzte Jahr vor der nächsten Bundestagswahl nicht tatenlos verstreichen lassen.
Doch bei einer wichtigen Personalfrage kam man wieder nicht weiter, nach wie vor ist unklar, wer im Winter ins Berliner Schloss Bellevue, also den Amtssitz des Bundespräsidenten, einziehen soll. Das amtierende Staatsoberhaupt, Joachim Gauck, hört im Februar auf. Eine Amtszeit reicht ihm, er ist 76 Jahre alt und hat Sorge, dass er die Strapazen gesundheitlich nicht weitere fünf Jahre durchhält.
Am 12. Februar wird sein Nachfolger von der Bundesversammlung gewählt. Diese ist ein Gremium, das sich aus Bundestagsabgeordneten und Vertretern der Länder zusammensetzt. Dort bilden sich bei einer Wahl politische Koalitionen, und davon gehen – sechs Monate vor der nächsten Bundestagswahl – natürlich jede Menge Signale aus.
Keine g'mahde Wiesn
Deshalb ist die Kür ausgerechnet für die beiden Favoriten keine g'mahde Wiesn. Es wird erwartet, dass Merkel, als Chefin der stärksten Partei, einen Vorschlag macht, sie ist also unter Zugzwang. Norbert Lammert (CDU), der kluge und rhetorisch brillante Bundestagspräsident, wäre ein Kandidat.
Aber er ist Teilen der SPD nicht vermittelbar. Viele halten ihn für zu selbstverliebt, andere – auch in der Union – wollen ihn nicht unterstützen, weil sie sechs Monate vor der Bundestagswahl kein so eindeutiges großkoalitionäres Signal aussenden wollen. Auf eine Neuauflage der "GroKo" hat nämlich nach der Bundestagswahl 2017 kaum jemand Lust.
Ähnlich verhält es sich mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Er ist beliebt und würde sich auch selbst das höchste Amt im Staat zutrauen. Er wäre ein "hervorragendes Staatsoberhaupt", wirbt SPD-Generalsekretärin Katarina Barley für ihn, fügt aber hinzu: "Nur die Kanzlerin will noch nicht so recht. Aus welchen Gründen auch immer."
Merkel fürchtet, dass große Teile der Union Steinmeier nicht mittragen wollen, weil eben CDU/CSU so kurz vor der Wahl ihren Führungsanspruch mit einem eigenen, "schwarzen" Kandidaten untermauern wollen.
Schwarz-grüner Kretschmann
Die Union könnte sich auch mit den Grünen zusammentun. In diesem Fall, so munkelt man in Berlin, gäbe es ohnehin nur einen logischen Kandidaten: den populären grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann. Merkel müsste bei der CDU allerdings wohl weniger Überzeugungsarbeit leisten als bei den Grünen. Denn vielen linken Grünen ist "Kretsch" mittlerweile zu konservativ.
Gerade erst hat er sich in die Nesseln gesetzt, weil er es "gut" fand, dass die meisten Menschen die klassische Ehe bevorzugen würden. Das kam in der Partei, die von jeher für die Gleichstellung kämpft, nicht so super an.
Im Gespräch ist immer wieder Jutta Allmendinger, die Chefin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Sie hätte zwei Vorteile: "Frau und parteiunabhängig". Aber sie ist nicht bekannt. Bis Ende Oktober will Merkel die Frage geklärt haben. Die finale Entscheidung wird sie mit SPD-Chef Sigmar Gabriel und CSU-Vorsitzendem Horst Seehofer in sehr kleiner Runde fällen. (Birgit Baumann aus Berlin, 8.10.2016)