Eine Pflegeinstitution, in der im Auftrag der NS-Machthaber gemordet wurde: Sebastian Koch und Fritzi Haberlandt in Kai Wessels Euthanasiedrama "Nebel im August".

Foto: Filmladen

Wien – Deutschland 1942: Der 13 Jahre alte Ernst Lossa (Ivo Pietzcker), Sohn eines fahrenden Händlers und Angehöriger der "Jenischen" (eine alte Bezeichnung für europäische Armutsmigranten), kommt in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee in Schwaben. Der Leiter Dr. Veithausen (Sebastian Koch) gibt sich anfangs den Anschein, als läge ihm nur das Schicksal der Kinder am Herzen. Doch bald begreift Ernst, auch mithilfe der aufmerksamen Schwester Sophia (Fritzi Haberlandt), dass in der Anstalt schreckliche Dinge passieren. Mit der neu hinzukommenden Pflegerin Edith Kiefer (Henriette Confurius) kommt eine Verfechterin der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Politik, und zunehmend lässt auch Veithausen erkennen, dass ihm vor allem an der Umsetzung der mörderischen Vorgaben aus Berlin gelegen ist. Damit beginnt eine Auseinandersetzung, in der die nationalsozialistische Unmenschlichkeit an einem überschaubaren Ort verdichtet wird.

Vernichtungspolitik

In seinem Tatsachenroman Nebel im August hat Robert Domes die Geschichte von Ernst Lossa aufgeschrieben, der bereits in einer Untersuchung über Psychiatrie im Nationalsozialismus von Michael von Cranach, später Leiter der Anstalt Kaufbeuren, im Mittelpunkt gestanden war.

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Auf diese beiden Texte bezieht Kai Wessel sich mit seinem Film, für den er einen starken Protagonisten gewählt hat. Der Junge Ernst Lossa, der 1944 mit Morphium getötet wurde, wurde Opfer der nationalsozialistischen Ausgrenzungs- und Vernichtungspolitik: Als "Jenischer" gehörte er einer sozialen Gruppe an, die häufig mit Sinti und Roma gleichgesetzt wurde, die wie die Juden Opfer der genozidalen Anstrengungen in Hitlerdeutschland wurden. So handelt es sich zwar nicht im strengen Sinn um eine Shoah-Geschichte, aber im weiteren Sinn kommen Aspekte aus diesem Bereich vor (tödliche Rationalität, latente Perversion).

Nebel im August ist ein typischer, neuerer deutscher Geschichtsfilm. Er zeichnet sich durch eine gediegene Ästhetik aus (die Lichtsetzung steht für die Unheilsepoche) und setzt vor allem auf einen Kniff bei den Identitätsmustern. Denn die beiden attraktivsten Darsteller – Sebastian Koch und Henriette Confurius – haben die Schurkenrollen. Der Junge Ernst ist Identifikationsfigur für ein jugendliches Publikum, das mit diesem Film Zugang zur NS-Geschichte bekommen soll.

Deutlich will Wessel auf eine möglichst abgesicherte Darstellung hinaus, allerdings geraten wichtige Szenen – ein Besuch des Vaters von Ernst, eine Sitzung der Euthanasieärzte – eher wie Karikaturen. Das liegt wohl an den nicht lösbaren Widersprüchen, die man sich einhandelt, wenn man von den Schrecken in einer Form erzählt, die vor allem auf Äußerlichkeiten setzt. (Bert Rebhandl, 8.10.2016)