In den vergangenen Jahren war der Gebäudekomplex in Beaumont-en-Véron im französischen Loiretal ein Lager für unbegleitete minderjährige Migranten. Nun soll es der Terrorprävention dienen

Foto: AFP / Guillaume Souvant

Beaumont-en-Véron/Paris – Wenn man einmal vom nahen AKW absieht, liegt Beaumont-en-Véron in einer idyllischen Umgebung mit Weinbergen und einem Balzac-Museum. In dem Ort im Loiretal hat vor wenigen Tagen das erste Entradikalisierungszentrum Frankreichs seine Tore geöffnet – beziehungsweise geschlossen: Die ersten sechs "Pensionäre", wie sie genannt werden, dürfen die Anlage einen Monat lang nicht verlassen. Das Ambiente eines betuchten Studentenwohnheims mit einem Park voller Kirschbäume täuscht: Einzelne Fenster sind vergittert, Infrarotkameras sichern die Zugänge, und aus der Distanz wacht die Gendarmerie.

Die halb offene Anlage ist ein Experiment – kein Gefängnis, kein "Guantánamo", aber auch keine Sozialstätte oder Schule. Gedacht ist sie für gut 25 junge Islamisten im Alter von 18 bis 30 Jahren, die keiner Terrorpläne verdächtigt werden und in keiner polizeilichen S-Kartei (für "sûreté" oder Staatssicherheit) stehen. Die drei Frauen und drei Männer wurden vielmehr von Angehörigen als "gefährdet" gemeldet. In Beaumont unterziehen sie sich freiwillig – was immer das heißen mag – einer maximal zehnmonatigen Entradikalisierungskur. Damit unterscheiden sie sich von Jihadisten, die schon einmal in Syrien waren oder sonst wie zur Tat schreiten möchten – und die damit ein Fall für die Geheimdienste sind.

Offen gestalteter Tagesablauf

Tagwache im Zentrum von Beaumont ist um 6.45 Uhr, einmal in der Woche ist Morgenappell mit der französischen Flagge. Danach gibt es Kurse in Geschichte, Religion und Philosophie; ein wichtiges Thema sind Onlinemedien und die Indoktrinierung über diese Kanäle. Die Pensionäre werden in Beaumont von mindestens ebenso vielen Betreuern medizinisch, sozial und psychologisch begleitet. Beten sei während der Ruhepausen erlaubt, erklärte Muriel Domenach von der federführenden Regierungsmission für die "Vorbeugung von Kriminalität und Radikalisierung" (CIPDR). Ansonsten wird der Tagesablauf bewusst offen gehalten, um mit den Jugendlichen eine wirkliche Interaktion abseits des doch sehr akademisch klingenden Programms ermöglichen zu können.

In Beaumont gibt es etliche Widerstände gegen das Zentrum, zumal eine Haltestelle des Schulbusses gleich nebenan liegt. Eine Petition für die Schließung unterzeichneten 800 der 2900 Einwohner; und ein Verein plant rechtliche Schritte gegen das Zentrum, dessen erster Besitzer 1896 testamentarisch einen sozialen Zweck mit wöchentlicher Kirchmesse vorgeschrieben hatte. Als Mindestforderung verlangt der Verein den Bau eines 2,8 Meter hohen Metallzauns um die Anlage.

"Möglicherweise umkehrbar"

Die bisherigen Proteste sind geringer als in anderen französischen Gemeinden, die Flüchtlinge aus dem bald geräumten Lager in Calais aufnehmen sollen. An diesen Orten zieht öfters der rechtsextreme Front National die Protestfäden. In Beaumont ist er bisher nicht offen in Erscheinung getreten. Eine Reihe von Einwohnern denkt offenbar wie Bürgermeister Bernard Château: "Ich ziehe eine solche Einrichtung vor, um weitere Terroranschläge wie in Paris oder Nizza zu verhindern", meint der parteilose Politiker. Die Jugendlichen seien "keine Terroristen, sondern junge Radikalisierte", die "möglicherweise noch umkehrbar" seien.

Sollte Beaumont ein Erfolg werden, will die Regierung künftig in allen Landesregionen Entradikalisierungszentren bereitstellen. Geplant sind landesweit 1600 Plätze. (Stefan Brändle, 9.10.2016)