Was könnte man mit den Erlösen aus einer Finanztransaktionssteuer nicht alles (teil)finanzieren: Beschäftigungsanreize, Klimainvestitionen – und: Flüchtlingshilfe. Diesen Montag beraten die EU-Finanzminister wieder über die Einführung. Zu erwarten ist, dass erneut nichts herauskommt. Der Hauptgrund: Die Finanzwirtschaft ist mächtiger als die Mitgliedsstaaten der EU und deren Zentrale in Brüssel.

Sie hat eine durch und durch neoliberale Ideologie, die sich auf zwei Sätze reduzieren lässt: Wenn erfolgreich gewirtschaftet wird, soll der Staat sich nicht (=mit Steuern) einmischen. Wenn eine Bank aber ins Rutschen gerät, soll sie der Staat (=die Steuerzahler) retten.

Im Grunde geht es im Ringen um die größerflächige Einführung dieser internationalen Steuer um einen Konflikt zwischen Neoliberalen und Keynesianern, die in der EU noch nie eine Mehrheit für ihre steuerorientierte Politik gefunden haben.

Es ist daher typisch, dass Italien und Frankreich mit ihrer stärker auf sozialdemokratische Positionen fokussierten Politik die Transaktionssteuer isoliert eingeführt haben. Fast schon höhnend kommentieren daher ihre Gegner die Erlöse – nur ein paar Hundert Millionen Euro habe sie gebracht statt der erhofften Milliarden.

Großer Brocken

Der etwas einfacher gestrickte Bürger fragt sich: Sind einige hundert Millionen nichts? Hochgerechnet auf neun oder zehn Staaten, die mit der neuen Steuer Ernst machen, wären das immer noch mehrere Milliarden. 50 Prozent für die teilnehmenden Staaten, 50 Prozent für die EU – und wir hätten einen großen Brocken der anstehenden Problemlösungen finanziert.

Gegner von Änderungen arbeiten außerdem gerne mit pessimistischen Voraussagen, die sich nicht selten als Panikmache erweisen. Ein Beispiel sind die bereits eingetretenen Konsequenzen der Brexit-Abstimmung in Großbritannien. Fast alle Kommentatoren sagten voraus, die Briten würden sofort mit einem Zusammenbruch ihrer Wirtschaft rechnen müssen. Das Gegenteil ereignete sich (zumindest bis jetzt). Die Konsumdaten bleiben gleich, die Investitionsfreude nahm nicht ab. Die Untergangspropheten schweigen derzeit.

Dasselbe könnte sich nach Einführung in den neun oder zehn Befürworterstaaten ereignen, wenn sie die ersten Erlöse registrieren und die befürchtete Abwanderung von Finanzinvestoren nicht stattgefunden hat.

Wenn man sich darauf einigen könnte, zumindest fünf Jahre lang einen Großteil der Erlöse für die Bewältigung der Flüchtlingsproblematik einzusetzen, würden mit Sicherheit zwei Effekte eintreten. Erstens: Das Vertrauen in die Stärke der EU würde wieder wachsen. Zweitens: Der Rechtspopulismus würde gerade deshalb nicht weiter zunehmen.

250 europäische Ökonomen haben laut Attac einen Brief unterzeichnet, in dem die Euro-Finanzminister aufgefordert werden, die längst überfällige Einigung auf die internationale Finanztransaktionssteuer zu finalisieren. Geschieht das nicht, vertieft sich die Krise der EU in den Augen vieler weiter. (Gerfried Sperl, 9.10.2016)