In "Pink Eye" befasst sich Choreografin Elisabeth Bakambamba Tambwe mit dem Blick – und damit, wie er sich lenken lässt.

Foto: Wolf Silveri

Graz – Schon wieder ist Elisabeth Bakambamba Tambwe als Rothaut aufgetreten. Unter dieser Hülle hat die renommierte Wiener Künstlerin und Choreografin zu Beginn ihres neuen Solos Pink Eye, das am Sonntag beim Steirischen Herbst im Grazer Orpheum uraufgeführt wurde, noch mehr gelitten als das Mal davor im Tanzquartier Wien. Dort hatte sie vergangenen Mai in ihrer Performance Las Meninas ebenfalls einen roten Ganzkörperanzug als zweite Haut getragen.

Diese Frau rührt gern an die vielen Schichten unserer Wirklichkeit. Eine davon ist die Haut. Wer wie Tambwe in Kinshasa geboren und über Frankreich nach Österreich gekommen ist, hat Erfahrung damit, was es heißt, anders auszusehen als die Mehrheit: wenn die Hautfarbe zum Signal wird.

In Pink Eye bleibt der Performerin unter ihrer zweiten Haut bald die Luft weg. Sie schält sich halb aus ihrer Hülle, wird diese aber bis zum Schluss nicht wirklich los. Und das zusätzliche Ausstopfmaterial unter dem Anzug auch nicht. Das erinnert an den aus Afrika stammenden Wiener fürstlichen Kammerdiener Angelo Soliman, dem nach seinem Tod vor 220 Jahren die Haut abgezogen wurde.

Ausgestopfter "Mohr"

Der sogenannte "Mohr" wurde ausgestopft und bis 1806 im kaiserlichen Hof-Naturalien-Cabinet ausgestellt. Dann kam das Präparat zusammen mit anderen ins Depot, wo es während des Oktoberaufstands 1848 einem Brand zum Opfer fiel. 2011 zeigte das Wien Museum eine Ausstellung über Soliman, und vor zwanzig Jahren widmete ihm Bert Gstettner ein Tanzstück.

Auf die verächtliche Häutung des Afrikaners gegen Ende der Aufklärung bezieht sich Elisabeth Bakambamba Tambwe in Pink Eye nicht direkt. Wohl aber auf unsere Art zu schauen. Hinter der "Haut" eines Plastikvorhangs auf der Bühne liest sie in Hochgeschwindigkeit aus der berühmten Phänomenologie der Wahrnehmung des französischen Philosophen Maurice Merleau-Ponty: Der Leib ist ein Objekt seiner Wahrnehmung, und diese wird von kulturellen Ideen manipuliert.

Alter, neuer Kolonialismus

Angelo Solimans Tochter Josephine konnte noch so sehr protestieren, die Haut ihres Vaters durfte sie nicht beerdigen. Diese Geschichte erzählte Araba Evelyn Johnston-Arthur, eine Aktivistin und Wissenschafterin, die über die afrikanische Diaspora in Österreich forscht. Tambwes Pink Eye wurde vom Steirischen Herbst nicht zufällig in räumliche und zeitliche Nähe zu einer zweitägigen künstlerisch-theoretischen Auseinandersetzung mit den Folgen des alten und neuen Kolonialismus gestellt.

Was in dieser Konferenz unter dem Titel "Welcome to the former West" erörtert wurde, geht alle an. Denn es ist direkt mit aktuellen politischen Herausforderungen verbunden – nicht nur was heutige Geflüchtete und Zuwanderer, sondern auch was die Aktivitäten betrifft, die Europa und Co, der sogenannte "Westen", seit Beginn der neuzeitlichen "Eroberungen" und bis heute in deren Herkunftsländern setzt.

Die katastrophalen Konsequenzen dieser Raubzüge für die ursprünglichen Bevölkerungen sind bekannt, werden aber beharrlich heruntergespielt. Diese Verlogenheit trifft nicht zuletzt die Europäer selbst. Denn die bornierte Doppelmoral, einerseits Humanismus, Demokratie und Menschenrechte zu predigen, diese aber selbst oft zu umgehen, macht den Westen global unglaubwürdig.

María do Mar Castro Varela, aus Spanien stammende Politologin, diagnostiziert: Während des Kolonialismus hat sich Europa durch seine Grausamkeiten selbst barbarisiert. Damit sind eigene Wissenschaftsgebiete befasst: die "postkoloniale" und die "dekoloniale" Theorie untersuchen neue Formen der Kolonisierung und die Folgen des alten Kolonialismus.

Auch der Holocaust, so Castro Varela, sei in Zusammenhang damit zu sehen, was die europäischen Eroberer anrichteten: Hätte die Shoah verhindert werden können, wären diese Grausamkeiten damals im Blick gewesen? Europas neuzeitliches Selbstverständnis sei, so Rolando Vázquez von der Universität Utrecht, untrennbar mit dem Kolonialismus verbunden. Ebenso wie die in alle Welt exportierte Idee einer anthropozentrischen Moderne.

Daher ist das, was bis heute unter Fortschritt verstanden wird, ein Produkt dieses "Tandems" aus Kolonialismus und Moderne. Die Kölner Kuratorin You Mi untersucht den alten Handelsweg der Seidenstraße. Im Vergleich mit dem alten, zentralistischen Kolonialismus, sagt sie, sei der neue transnational – Uber ist das neue Großbritannien. In die Kritik gerät auch die globalisierte Kunst, der vom "Westen" eine vereinheitlichte Zeitgenossenschaft verordnet wird.

Gefordert wird allgemein eine Befreiung des europäischen – und globalen – Denkens von seiner Vergiftung durch alte und neue kolonialistische Sichtweisen. Dieses Thema setzt sich diese Woche noch beim Steirischen Herbst fort und wird 2017 auch ein Aspekt der Wiener Festwochen sein. (Helmut Ploebst, 11.10.2016)