Der dritte Präsident der Vereinigten Staaten, Thomas Jefferson (1743–1826), hat diesen denkwürdigen Satz über die Pressefreiheit gesagt: "Wenn es von mir abhängen würde, ob wir eine Regierung ohne Zeitungen oder Zeitungen ohne eine Regierung haben, würde ich keine Sekunde zögern, das Zweite zu bevorzugen." Das Spannungsverhältnis zwischen Medien und Politik wird zwar selten von seinem Wunsch geprägt, doch bleibt die Pressefreiheit bis heute ein Gradmesser für den Zustand der liberalen Demokratien.

Vor allem in den seit 1989 freien und unabhängigen exkommunistischen Staaten in Mittel- und Osteuropa, so auch in Ungarn, war die Meinungs- und Pressefreiheit stets die allererste Forderung der revolutionären und nationalen Bewegungen. Auch ihr Beitritt zur Europäischen Union wäre ohne einen freien Medienmarkt kaum möglich gewesen. Deshalb löste die abrupte Einstellung der noch immer auflagenstärksten regierungskritischen linksliberalen Tageszeitung Népszabadság ("Volksfreiheit") durch den österreichischen Besitzer Vienna Capital Partners von Freitag auf Samstag, ohne vorherige Information der Chefredaktion, der Gewerkschaft und des Betriebsrates, ein sehr kritisches Echo in den internationalen Medien und auch in der EU aus.

Warum? Von der Neuen Zürcher Zeitung und der Süddeutschen bis zu Le Monde und der New York Times wurden die beispiellosen Umstände der Aussperrung der Journalisten von ihrem Arbeitsplatz und der Sperre ihres Zuganges zur Online-Ausgabe, der plötzliche Wechsel von großangelegten Ausbauplänen zu sattsam bekannten Fakten über Verluste und Auflagenrückgänge als Bestätigung für Vermutungen über eine politisch und nicht betriebswirtschaftlich motivierte Entscheidung, möglicherweise unter Druck "von oben", gedeutet.

Ist es aber nicht absurd, dass hunderte ungarische Schriftsteller, Kritiker und Wissenschafter sowie sämtliche politischen Parteien außer der regierenden Fidesz und alle von der Regierung und ihren befreundeten Oligarchen unabhängigen Zeitungen das frühere Zentralorgan des KP-Regimes verteidigen? Nein, weil sich dieses Blatt nach der Wende, zuerst mehrheitlich im Besitz des Bertelsmann-Konzerns, seit 1997 in dem der Ringier-Gruppe aus der Schweiz, zu einer freien Tribüne der Diskussion nach westlicher Lesart und zu einer verlässlichen Informationsquelle gewandelt hat.

Da ich, wie in meinen Erinnerungen nachzulesen ist, als blutjunger Journalist in der Redaktion der vormaligen KP-Zeitung Das freie Volk der Propagandakampagne der Diktatur diente, konnte ich den Wandel des Pressewesens seit der Wende nach 1989 richtig abschätzen. Gerade am Vorabend des 60. Jahrestages des Volksaufstandes 1956 muss man auch daran erinnern, dass dieser ohne die Rebellion der Journalisten des damaligen KP-Blattes nicht möglich gewesen wäre. Aus dem einstigen Sprachrohr der Parteidiktatur Népszabadság ist ein Symbol des erfolgreichen demokratischen Wandels geworden. Vielleicht drängen sich deshalb angesichts seines Verstummens düstere Ahnungen auch bei den wenigen regierungskritischen Medien von ihrem künftigen Schicksal auf. (Paul Lendvai, 10.10.2016)