Eine vor kurzem veröffentlichte Bertelsmann-Studie ortet Probleme in der Integration von Flüchtlingen auf dem EU-Arbeitsmarkt. Professor Iván Mártin, einer der Autoren dieser Studie, erklärt die Ursachen.
STANDARD: Warum ist kein einziger EU-Mitgliedstaat imstande, die Integration von Asylwerbern und Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt zu bewerkstelligen?
Martín: Es gibt objektive Schwierigkeiten, Asylwerber und anerkannte Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt rasch zu integrieren. Sie kommen in ein unbekanntes Land, sprechen nicht die Sprache und bringen oft Traumata aus dem Heimatland und die Fluchterfahrung nach Europa mit. Die grundlegende Frage hier ist also: Was tun die EU-Länder für diese Menschen, um den Übergang vom Flüchtling zur Arbeitskraft zu bewältigen? Wir fanden durchaus inspirierende Beispiele wie das freiwillige Integrationsjahr in Österreich. Kurzfristige Aufenthaltstitel schrecken andererseits die meisten Arbeitgeber davon ab, diesen Menschen einen Job anzubieten.
STANDARD: Die Studie ortet bürokratische Hürden als eines der größten Probleme für eine erfolgreiche Arbeitsintegration.
Martín: Die meisten EU-Länder lockern immer mehr den Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge und Asylwerber auf, zumindest auf der gesetzlichen Ebene. Auch Österreich folgt diesem Prinzip, das zeigt auch eine entsprechende Fallstudie des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Das Problem liegt jedoch mehr bei den Behörden, die es nicht schaffen, diese Politik effektiv umzusetzen. Die Verteilung von Flüchtlingen und Asylwerbern auf bestimmte Gemeinden und Regionen, ohne auf die Situation auf dem dortigen Arbeitsmarkt und die Wohnsituation Rücksicht zu nehmen, erschwert die Jobsuche.
STANDARD: Sie plädieren also für eine rasche Öffnung des Arbeitsmarktes auch für Asylwerber?
Martín: Das ist tatsächlich der beste Weg, um ihre soziale und kulturelle Integration voranzutreiben und ihren Beitrag für die lokale Wirtschaft zu maximieren. Es gibt hier eigentlich ein gegenseitiges Interesse. Diese Menschen werden oft als Belastung für das Budget wahrgenommen. Wenn man ihnen aber einen Zugang zum Arbeitsmarkt verschafft, kann man diese Belastung in einen positiven Beitrag für die Wirtschaft umwandeln.
STANDARD: In Österreich sind jedoch die meisten politischen Akteure dagegen: Diese Maßnahmen würden den Arbeitsmarkt zusätzlich belasten und zu einem Lohndumping führen.
Martín: Als Arbeitsökonom halte ich diese Argumentation für kurzsichtig. Wir wissen aus Erfahrung, dass Asylwerber und Flüchtlinge, die letztes Jahr nach Europa kamen, hier bleiben werden. Anstatt ihre Abhängigkeit vom Staat in die Länge zu ziehen, sollten wir ihre Integration in die Wege leiten und ihnen ermöglichen, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Jede Integrationsmaßnahme spart dem Staat zusätzliche Kosten. Ein Lohndumping wird nur dann passieren, wenn dieser Gruppe der Zugang zum regulären Arbeitsmarkt verwehrt bleibt. Dann werden viele früher oder später illegal arbeiten. Darüber hinaus bestätigen alle relevanten Studien, dass viele EU-Länder in den nächsten Jahren zusätzliche Arbeitskräfte benötigen werden.
STANDARD: In der Öffentlichkeit werden das niedrige Bildungsniveau und die teils fehlende Alphabetisierung mancher Flüchtlinge als ein Problem für den Arbeitsmarkt gesehen.
Martín: 83 Prozent aller Flüchtlinge in Europa sind unter 35. Sie haben also ihr ganzes aktives Leben vor sich. Die meisten von ihnen befinden sich dazu im Ausbildungsalter. Es muss also im Interesse von Europa sein, diesen Menschen eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Eine Berufsausbildung, kombiniert mit Praktika in Unternehmen und ein schneller Spracherwerb sind unerlässlich: Die Integration auf dem Arbeitsmarkt muss vom ersten Tag an erfolgen.
STANDARD: Wissen wir eigentlich über hier lebende Flüchtlinge zu wenig?
Martín: Ja. Das bestätigt auch unsere Studie. Es werden zu wenige Informationen über das sozioökonomische Profil, Qualifikationen und die Berufserfahrung von Flüchtlingen systematisch gesammelt und aufbereitet. In vielen Fällen wissen wir sogar nicht, wie viele Flüchtlinge in einem Land leben oder wo sie sich gerade aufhalten.
STANDARD: Was wären aus der Sicht der Studie die Top-Prioritäten, um die Integration von Asylwerbern und Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt voranzutreiben?
Martín: Alle legalen und bürokratischen Hürden für den Zugang zum Arbeitsmarkt sollten so schnell wie möglich beseitigt werden. Man müsste ebenfalls maßgeschneiderte Unterstützungsmaßnahmen entwickeln, um auf spezifische Bedürfnisse dieser Menschen einzugehen, genauso wie es bereits für andere soziale Gruppen mit spezifischen Bedürfnissen besondere Maßnahmen gibt. Ihre Fähigkeiten zu fördern, ist eine Investition in die Zukunft des Arbeitsmarkts. Diese Maßnahmen werden jedoch finanzielle Ressourcen erfordern, das muss uns klar sein. (Nedad Memić, 11.10.2016)