"Der Gender Pay Gap hat lebenslange ökonomische Konsequenzen für Frauen", sagt die Ökonomin Alyssa Schneebaum.

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Am 11. Oktober wird wieder der Equal Pay Day begangen.

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STANDARD: Bei der Gehaltsdifferenz zwischen Frauen und Männer liegt Österreich im europäischen Vergleich noch immer auf dem vorletzten Platz. Was hat Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in der Gleichstellungspolitik versäumt?

Alyssa Schneebaum: Ein großer Teil der Gehaltsdifferenz zwischen Frauen und Männern ist maßgeblich dadurch getragen, dass in Österreich mehr Frauen Teilzeit arbeiten als Männer. In dieser Hinsicht ist die Differenz keine Frage von Gleichstellungspolitik, sondern von Rahmenbedingungen, die weniger Möglichkeiten für Vollzeitarbeit bieten. Das Fehlen von Kindergartenplätzen und ganztägigen Betreuungseinrichtungen in vielen Regionen in Österreich ist ein weiterer Faktor, der dazu beiträgt, dass Frauen weniger bezahlt bekommen: Sie wenden mehr Zeit für Versorgungsarbeit auf und weniger für bezahlte Arbeit.

STANDARD: Der Equal Pay Day gibt Auskunft darüber, wie viel Frauen und Männer mit Lohnarbeit verdienen und mit wie viel Pension sie daher rechnen können. Wie unterscheidet er sich vom Gender Pay Gap? Und was ist der Pension Day?

Schneebaum: Der Gender Pay Gap benennt die Differenz dessen, was Männer im Vergleich zu Frauen für ihre Arbeit am Arbeitsmarkt verdienen. Als Gender Pension Gap wird die Differenz dessen bezeichnet, was Männer im Vergleich zu Frauen an Pension erhalten. Pensionszahlungen basieren ja auf dem früheren Bruttoeinkommen eines Arbeitnehmers beziehungsweise einer Arbeitnehmerin – der Gender Pay Gap erweitert sich also in einen Gender Pension Gap. Oder, anders formuliert: Der Gender Pay Gap hat lebenslange ökonomische Konsequenzen für Frauen. Der Pension Day, konzeptuell ähnlich wie der Equal Pay Day, ist alljährlich der Stichtag, an dem Frauen für den Rest des Jahres keine Pension mehr beziehen würden, wenn die Pensionszahlungen zuvor gleich verteilt gewesen wären.

STANDARD: Der Equal Pay Day zeigt auch auf, wie in unserer Gesellschaft unbezahlte Arbeit entlang von Geschlecht verteilt ist – also wer Hausarbeit leistet, Kinder, Alte oder Kranke betreut. Hier gibt es auch eine Arbeitsteilung der Frauen untereinander, die entlang von Klasse und Ethnie verläuft. Welchen Stellenwert hat diese Entwicklung innerhalb der feministischen Ökonomie?

Schneebaum: Es ist wichtig festzuhalten, dass Österreich den zweithöchsten uneingeschränkten Pay Gap in Europa aufweist, also jene Differenz, die sich ergibt, wenn man alle lohnarbeitenden Männer mit allen lohnarbeitenden Frauen vergleicht. Diese Differenz berücksichtigt nicht die unbezahlte Arbeit, die hauptsächlich von Frauen verrichtet wird – der Gender Pay Gap ignoriert also die Tatsache, dass Frauen viel Zeit für unbezahlte Arbeit aufwenden.

Feministische Ökonominnen haben früh erkannt, dass Gender nur eine Dimension unserer Identität ist. Unser Klassenhintergrund, Ethnie, Herkunft, Alter und sexuelle Orientierung et cetera sind weitere wichtige Faktoren, die die ökonomischen Voraussetzungen mitprägen. Diejenigen, die am Arbeitsmarkt weniger verdienen, werden eher unbezahlte Pflegearbeiten (Care Work) übernehmen – sie erhalten nicht nur weniger Lohn, sondern in der Folge auch weniger Alterspension. ArbeitnehmerInnen mit Migrationshintergrund – und hier vor allem Frauen – verdienen am Arbeitsmarkt durchschnittlich weniger.

STANDARD: Hinter den Zahlen versteckt sich auch die Information, dass es Berufe gibt, die je nach Männer- oder Frauenüberhang besser oder schlechter bezahlt werden. Wie könnte man dem entgegenwirken?

Schneebaum: Da ein Hauptteil des Lohnunterschieds direkt und indirekt durch die ungleiche Aufteilung der unbezahlten Arbeit entsteht, macht es Sinn, in diesem Bereich anzusetzen. Dazu zählen all jene Politikmaßnahmen, die einerseits Frauen dazu ermutigen, bezahlter Arbeit nachzugehen, und andererseits Männer dazu ermutigen, mehr unbezahlter Arbeit nachzugehen. Ein Beispiel wäre ein Karenzmodell, in dem die Zeit jeweils der einzelnen Person zusteht und nicht von einem Elternteil auf den anderen übertragen werden kann. Ein derartiges Modell verändert nicht nur das Verhalten der Männer und Frauen, die in Karenz gehen, sondern auch die Erwartungen der ArbeitgeberInnen in Bezug auf mögliche Karenzzeiten und hat damit direkte Auswirkungen auf die Einkommen. Weiters ist es sinnvoll, Frauen beim Eintritt in hochbezahlte Branchen – die sogenannten Mint-Bereiche: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik –, in denen bisher deutlich ein Männerüberhang vorherrscht, direkt zu unterstützen. Umgekehrt sollten auch Männer dabei unterstützt werden, in soziale Berufe vorzudringen, in denen leider noch vornehmlich Frauen zu finden sind. Ein ausgeglicheneres Geschlechterverhältnis in diesen Bereichen wäre aus verschiedensten Gründen äußerst wünschenswert. Davon betroffen sind vor allem Pflege- und Kinderbetreuungsberufe.

Außerdem können Maßnahmen, die der Abschwächung sozialer Normen und Konstruktionen von Geschlechterrollen dienen, einen wichtigen Beitrag zur Verringerung des Gender Pay Gap leisten, der zu einem bedeutenden Teil auf diesen Normen basiert. (Christine Tragler, 11.10.2016)