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Der fünfeinhalb Kilometer lange Yas-Marina-Kurs in Abu Dhabi ist wie geschaffen für Rennradler, ...

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... aber auch Familien und Jogger drehen gerne ihre Runden auf dem perfekten Asphalt.

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Vom 25. bis 27. November drehen in Abu Dhabi wieder die Formel-1-Boliden ihre Runden.

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Bevor Vettel, Rosberg und Hamilton kommen, ist immer alles anders. Bevor sie mit dem Wippen ihrer Fußspitzen auch die letzten PS aus ihren Rennwagen treten, bevor ihre Motoren das ganze Areal mit einem Teppich aus unbändigem Lärm überziehen. Und auch nach ihnen wird wieder alles anders sein auf dem Yas Marina Circuit von Abu Dhabi – nach ihrem jährlichen Gastspiel, das stets nur ein paar Tage dauert.

Nach ihnen sind die vielen Tribünen wieder leer, die Kassenhäuschen unbesetzt. Und niemand schwenkt mehr die schwarz-weiß karierte Fahne. Aber auf der Piste, auf dem 5,55 Kilometer langen Formel-1-Kurs mit seinen neun Rechts- und elf Linkskurven, wird wieder mehr los sein. Sehr viel mehr! Denn dann kommen die Fahrradfahrer zurück, drehen wahlweise auf Rennrädern oder Mountainbikes ihre Runden auf dem Asphalt. Und wer mag, kommt einfach mit dem Hollandrad und fährt mit.

Keine Sandalen, Helmpflicht

Jeden Dienstag- und Sonntagabend ab 18 Uhr ist die Grand-Prix-Strecke der Emirate-Hauptstadt für Fahrradfahrer offen. Und für Jogger. Für Erstere gibt es nur zwei Regeln: Sandalen sind nicht erlaubt, und es gilt Helmpflicht. Alles andere ist Geschmacksache. Ob jemand nach Einbruch der Dunkelheit rasen mag, weil es endlich vier, fünf Grad kühler ist als noch kurz zuvor und das Thermometer nun nur noch Werte um die 30 Grad anzeigt. Oder ob er Ausflugstempo anschlägt, zwischendurch einmal stehen bleibt, das Fahrrad ins Gras legt und picknickt. Alles möglich, alles drin.

Die wichtigste Regel ist nämlich: Jeder soll es so machen, wie es ihm am besten gefällt. Platz ist für alle – für diejenigen, die in Tour-de-France-Tempo unterwegs sind und ihre Leiber in Rennradlerkluft gezwängt haben. Und für all die anderen, die meistens die Mehrheit stellen. Damit man sich nicht doch noch in die Quere kommt, gilt auch dies: Jogger dürfen nur am rechten Rand und gegen die Fahrtrichtung laufen.

Der Mittwochabend gehört den Frauen

"Als wir vor fünf Jahren damit begonnen haben, die Grand-Prix-Strecke nur an einem Abend pro Woche für Fahrradfahrer zu öffnen", erzählt Lynn Ismail vom Ausrichter Train Yas, "kamen anfangs um die 50 Leute, heute sind es über 4.000. Und neuerdings ist mittwochabends zusätzlich ausschließlich für Frauen geöffnet." Diesen Abend sind ein paar verschleierte Damen nur zum Zuschauen gekommen – zusätzlich zu denen, die wie Lynn Sportdress tragen und mitfahren. Sie hocken auf mitgebrachten Klappsesseln nicht weit vom Start.

Drei Männer in schneeweißen, knöchellangen Dischdaschas spazieren ein Stück weiter im Gras und plaudern angeregt. Sie kommen, weil das Volksfest drumherum Spaß macht. Weil DJ Steve aus England Lounge-Musik auflegt und seine Boxen die Rhythmen weiterverteilen. Und weil Fahrradfahren in einem Land fast ohne Radwege plötzlich zum Event geworden ist.

Runden ohne Ehrgeiz

Ein Mann mit orangem Turban tippt derweil irgendetwas in seinen Tablet-Computer. Und eine Frau in sehr kurzen Hosen unterhält sich bestens mit ihrem Handy. Sie sind alle da. Die Kleinen mit ihren Kinderrädern, Teens, Twens, Ergraute in grellen Sportklamotten, dazwischen Familien, auch ein Paar mit hellgrünem Kinderanhänger am Fahrrad. Der Nachwuchs in Prinzessinnenrosa fühlt sich darin offenbar wohl und schläft selig. Wirklich angespannt wirkt hier ohnehin niemand, um Ehrgeiz geht es nicht, Zeiten nehmen kann jeder für sich selber, wenn er denn möchte. Zu gewinnen gibt es dienstags nichts, organisierte Wettfahrten sind nicht vorgesehen.

In Pagodenzelten im Eingangsbereich informieren Hersteller, verkauft jemand frischgepresste Obstsäfte, wirbt ein anderer für die emiratische Gesellschaft zur Förderung der Krebsvorsorge. Ein paar Meter weiter gibt es kostenlos Leihhelme – und schräg gegenüber gratis zum Ausborgen 50 Fahrräder eines Sponsors zusätzlich zu den zwei Anbietern, die ihre Drahtesel gegen 30 bis 80 Dirham Miete, umgerechnet zwischen acht und knapp 20 Euro, verleihen. Es ist ein munterer Multikultirummel, ein vielstimmiges Sprachengewirr: kein Lärm, eher eine seltsam disziplinierte Stille, ohne dass irgendwer sie einfordern würde. Jeder scheint auf sich selbst konzentriert zu sein, auf sein Rad, den korrekten Sitz des Helms – und darauf, sich alsbald in den Strom auf der Rennstrecke einzufädeln.

Nette Geste der Natur

Seltsam, ganz gemächlich mit dem 24-Gang-Rad an der menschenleeren Boxengasse vorbeizuradeln, unter Flutlicht zwischen den leeren Tribünen der Zieleinfahrt vorbeizustrampeln. Und immer wieder unter großen Anzeigetafeln hindurchzurollen, die die ganze Fahrbahn überspannen und auf denen wahlweise "Yas Marina Circuit" oder "Abu Dhabi Grand Prix" steht. Das lauteste Geräusch jedenfalls ist das gleichmäßige Surren der Räder, hie und da kommt das Klicken der Gangschaltung hinzu. Als nette Geste der Natur kann man sich einigermaßen darauf verlassen, dass allabendlich leichter Wind aufkommt. Rückenwind auf manchen Abschnitten. Und kommt er, wie das bei Rundkursen unvermeidlich ist, dann doch einmal von vorne, ist er erfrischend. Zwischendurch freut sich ein kleiner Bub auf Deutsch und ruft zum größeren Nebenmann "Ich war eben 45 Sachen schnell, Papa. Und ich bin erst acht!"

Harold von den Philippinen ist Fahrradhändler, hat seinen Arbeitsplatz in der Yas Shopping Mall inmitten von Bikes absolut jeder Machart, Größe und Farbe. Ultraleichte Rennräder aus Deutschland, schwere Alltagsdrahtesel aus China, Mountainbikes aus den USA: alles da, alles zu haben von günstig bis enorm teuer, von umgerechnet 200 Euro bis über 3.000 Euro. Das Geschäft boomt – und das war nicht immer so. "Seit der Formel-1-Kurs für Radler geöffnet wurde, ist die Nachfrage gewaltig angestiegen. Wir haben eine Werkstatt aufgemacht und bieten sogar Fahrradreinigung für umgerechnet 70 Euro an", erzählt er. Bis dahin verkauften sich nur sogenannte Dirt Bikes mit dicken Ballonreifen für Fahrten durch wüstenhaftes Gelände, inzwischen sind es mehrheitlich Straßenräder.

Ob er selber eins hat? "Klar", sagt Harold, "eines hier und eines auf den Philippinen." Ob er damit zur Arbeit radelt? "Leider nein. Zu weit, zu heiß. Ich kann nicht total verschwitzt im Geschäft ankommen." Aber abends, da radelt er. An der Corniche direkt am Golf – oder eben mit all den anderen dienstags und sonntags auf dem Grand-Prix-Kurs gleich nebenan.

Gleichheit in der Kluft

War der ursprüngliche Gedanke bloß, den meist wettkampffreien Rennkurs besser auszulasten und für die Bevölkerung erlebbar zu machen, ist daraus inzwischen mehr geworden. Die neue Lust am Radfahren scheint über alle Grenzen hinweg zu verbinden. In Fahrradkluft und mit Helm ist plötzlich nicht mehr zu erkennen, wer Einheimischer, wer Urlauber, wer Gastarbeiter ist. Nur Hautfarbe und Gesichtszüge liefern allenfalls noch Anhaltspunkte. Alles andere gleicht die Lust aufs Fahrradfahren aus – in einem Land, das gemeinhin eher nicht als Radlerdestination gesehen wird.

Ob er auch ein Fahrrad hat, hier in Abu Dhabi? "Bald", sagt Taxifahrer Ragesh aus Kochi in Südindien, "es fährt gerade Schiff. Ich wollte es zu Hause lassen, aber vor einiger Zeit habe ich meine Familie gebeten, es gut zu verpacken und mit ein paar anderen Sachen hierher zu verschiffen. Ich habe ihnen am Telefon erklärt, ich will damit Formel 1 fahren. Jetzt sind sie alle ganz aufgeregt." (Helge Sobik, RONDO, 14.10.2016)

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