Margit Schratzenstaller in ihrem Büro im Wiener Wifo. Gearbeitet wird aber auch auf dem Küchentisch, unterm Baum im Garten, im Zug oder im Bett.

Foto: Christian Benesch

"Mein Schreibtisch steht in meinem Büro am Wiener Wifo und erfüllt eine ganze Reihe von Funktionen. Er fungiert als Zwischenlager für Bücher, Unterlagen und Fachzeitschriften, er ist aber auch Abstellplatz für Kaffee- und Teetassen. Zu Mittag wird er außerdem auch noch zum Esstisch. Ich esse aus Zeitgründen am Schreibtisch, meistens über der Tastatur.

Der Tisch ist ziemlich groß und geht übers Eck, was sehr praktisch ist, weil ich wirklich eine ganze Menge unterbringen muss. Ich beschäftige mich ja mit einer Vielzahl von Themen und Projekten. Das ist ein guter Nährboden für Unübersichtlichkeit am Schreibtisch. Was Außenstehende vielleicht nicht erkennen können, ist mein System hinter den Bergen von Papier. Ob es einfach nur Masse ist oder Unordnung? Schwer zu sagen, wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Ich weiß allerdings immer, wo ich etwas finde. Auf den ersten Griff. Das hat schon so manchen Besucher zum Staunen gebracht.

Aufgeräumt wird selten

Ich würde meinen Schreibtisch als mein Basislager bezeichnen. Aufgeräumt wird selten. Die Abstände sind groß. Zum letzten Mal hab ich ihn gestern aufgeräumt, bevor der Fotograf für diese Geschichte kam. Das vorletzte Mal, als das Wifo umgezogen ist, und die vorvorletzte Gelegenheit ergab sich, als ich vor acht Jahren in Karenz ging. Ich hab mir den Tisch übrigens nicht selber ausgesucht, das ist ein Standardtisch, wie wir ihn am Wifo haben. Er passt mir aber sehr gut.

Ich muss seine Funktion allerdings auch ein Stück weit relativieren, denn für mich gilt, dass mein Schreibtisch dort ist, wo ich mich gerade aufhalte. Ich arbeite ebenso an meinem Küchentisch, auf dem Sofa und manchmal auch im Bett. Ein wichtiger Arbeitsplatz ist für mich der Tisch im Zug, da ich häufig unterwegs bin. Im Zug schätze ich es besonders, in Ruhe arbeiten zu können. Man kann das W-LAN auch mal deaktiviert lassen.

Am allerwohlsten fühle ich mich, wenn ich meine Bürozelte an einem warmen Tag im Schatten meines Gartens aufschlagen kann und die Vögel unter einem Baum zwitschern höre. Diese Möglichkeit ergibt sich allerdings aus allen möglichen Gründen nicht sehr häufig.

Sinnliches verbinde ich mit dem Arbeitsplatz eher weniger. Das Emotionalste an meinem Arbeitsplatz im Büro sind einige Bilder, die meine Tochter gemalt hat. Inzwischen habe ich es sogar geschafft, sie mit Tixo an die Wand zu picken. Da schweifen meine Blicke hin und wieder drüber, und ich freu mich an ihnen.

Wir gehören auch hinaus

Der Schreibtisch ist, verglichen mit Stuhl, Sofa oder Bett ein ganz eindeutiger Ort des Arbeitens. All meine anderen, erwähnten Schreibtischersätze erfüllen eigentlich eine andere Hauptfunktion. An ihnen bin ich viel intensiver mit dem Leben in all seinen Ausprägungen verbunden.

Ich glaube, dass Wirtschaftsforscher keine reinen Schreibtischtäter sein sollten. Klar sitzen wir viel im Büro, ziehen uns zurück, forschen über ökonomische Probleme und überlegen uns wirtschaftliche Implikationen. Nur am Schreibtisch zu sitzen entspricht allerdings nicht meinem Verständnis von Wirtschaftsforschung. Wir gehören auch hinaus in die Welt, denn unsere Tätigkeit besteht auch in Politikberatung und ist daher an den Schnittstellen zwischen akademischer Forschung und der Politik angesiedelt. Das muss man schon mit der Wirklichkeit und den Problemen dort draußen in Kontrast setzen.

Apropos Wirtschaft und Politik. Ich denke, dass der Chefschreibtisch in einem Konzern noch als Insignium der Macht herhält. Der Kampf um die Größe der Büros und die Größe der Schreibtische und die Anzahl der Fenster wird in bestimmten Bereichen der Privatwirtschaft noch immer geführt. Bei mir nicht. "(Michael Hausenblas, RONDO, 14.10.2016)