Thomas Bene: "Den physischen Ort Büro wird es immer geben müssen."

Foto: Lukas Friesenbichler

STANDARD: Seit Jahren ist in Sachen Büro die Rede von Recreation-Zonen, Thinktanks, Desksharing, Homeoffice etc. Die Realität sieht in der Regel anders aus. Warum gibt es diese Modelle meist nur in irgendwelchen Magazinen?

Thomas Bene: Sie haben recht. In Deutschland gibt es einige wenige Beispiele, bei uns noch weniger, etwa das Wiener Headquarter der Erste Bank, in dem einiges sehr gut umgesetzt und wirklich Geld in die Hand genommen wurde. Das Ganze hat mit Mindsetting zu tun. Bei uns in Österreich geschieht halt vieles immer noch anders bzw. langsamer. In England gibt es die erwähnten Bürotypologien und -philosophien schon viel verbreiteter. Vor allem, weil man durch die exorbitanten Quadratmeterpreise gezwungen war, effizienter einzurichten.

STANDARD: Sie sprechen von "Geld in die Hand nehmen". Das hat auch mit Wertschätzung gegenüber dem Arbeitnehmer in Form einer hochwertigeren Büroplanung zu tun, oder?

Bene: Absolut. Ich hab immer gesagt, dass Mitarbeiter in einem Büro die Möglichkeit haben sollen, gut arbeiten zu können und gern arbeiten zu wollen. Der zweite Parameter ist sehr wichtig und lange Zeit unterschätzt worden. In manchen Branchen wird dieser Faktor noch immer nicht erkannt.

STANDARD: Meinen Sie Branchen, in denen Arbeitskräfte kein Mangel sind und ein Arbeitsplatz räumlich kein zusätzlicher Anreiz für eine Stelle sein muss?

Bene: Schon, ja. Aber sagen wir es so: Unternehmen mit einem gewissen Grad an Öffentlichkeit, das heißt Firmen, die Kunden und Besucher empfangen, verfügen über Bereiche, in denen eher auf Qualität und Optik geachtet wird. Generell sind die meisten Firmen aber mittlerweile draufgekommen, dass es gar nicht so teuer ist, für Mitarbeiter ein gutes Umfeld zu schaffen. Es geht vor allem um Information und Beratung.

STANDARD: Aber Qualität kostet Geld.

Bene: Qualität kostet immer Geld. Aber es kostet nicht viel mehr, wenn ich mein Augenmerk auf sympathische Oberflächen und Farben lege und damit ein besseres Umfeld schaffe.

STANDARD: Apropos Umfeld: Man hatte das Großraumbüro schon totgesagt. Nun ist es längst wieder zurückgekehrt. Was halten Sie von diesem weitverbreiteten Typus?

Bene: Viel, wenn gewisse Parameter in der Planung und im Büroalltag eingehalten werden. Das Hauptproblem im Großraumbüro ist die Akustik. So etwas kann durch verschiedenste schallschluckende Elemente und die richtige Architektur abgefangen werden. Hinzu kommen die Regeln. Ohne die geht's halt auch nicht.

Digitales Zeitalter hin oder her, es ist vor allem der persönliche Schnickschnack, der die Seele eines Schreibtisches ausmacht.
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STANDARD: Welche ist die Wichtigste?

Bene: Nicht zu laut telefonieren, den Klingelton anpassen etc. Wenn jemand ein besonders lautes Organ hat, dann soll er halt die Hand vorhalten ...

STANDARD: Neben dem Akustischen kann auch das Olfaktorische zum Problem werden.

Bene: Und wie. Wer mag es, wenn einem vom Nachbartisch die gebratenen Nudeln vom Chinesen in die Nase wehen. Für die Einnahme von Mahlzeiten muss es eigene Bereiche geben.

STANDARD: Ein Großraumbüro schafft also einen Haufen Probleme.

Bene: Schauen Sie, der große Vorteil des Großraumbüros liegt in seiner Effizienz, in der Kommunikation in Blickgeschwindigkeit. Ich muss nur aufstehen, um zu sehen, ob ein Kollege anwesend und gerade ansprechbar ist. Auch das Zusammengehörigkeitsbewusstsein in Teams wird durch Großraumbüros gefördert.

STANDARD: Wie viel Privatsphäre verträgt ein Büro?

Bene: Es gibt einen einfachen Trick. Jeder Arbeitsplatz sollte einen klar definierten Bereich haben, eine Art Bilderrahmen, wo es Platz für private Fotos etc. gibt. Das ist in der Regel nicht das Problem.

STANDARD: Sondern?

Bene: Sie können sich nicht vorstellen, was ich alles in Sachen Pflanzen und Blumen erlebt habe. Es gibt Angestellte, die wollen sich über Jahre partout nicht von ihrem Grünzeug trennen, auch wenn dies schon zu einem Urwald wuchert. Da stößt man mitunter an die Grenzen des Verständnisses, wenn man ein einheitliches Begrünungskonzept einführt. Manche verstecken sich regelrecht hinter Pflanzen, nur weil die Büroplanung nicht die richtige war.

STANDARD: Wie schaut es mit Hunden im Büro aus? Es heißt, Haustiere können im Arbeitsalltag Stress lindern und das Team zusammenschweißen.

Bene: Dazu kann ich nichts sagen.

STANDARD: Sie sind also dagegen?

Bene: Das ist eine Frage der Unternehmenspolitik. Es sind ja auch in manchen Wohnungen keine Tiere erlaubt. Und noch etwas: Ein Zwergpinscher ist kein Rottweiler. Wo zieht man also die Grenzen?

STANDARD: Wen setzt man wo in einem Büro hin? Allen kann man es nicht recht machen.

Bene: So ist es. Patentrezept gibt es keines. Auch hier gilt es, in der Planungsphase gründlich zu arbeiten, zu steuern und abzufragen. Auch die Architekten sind in diesem Punkt mehr gefragt. Nicht selten konzentrieren sie sich zu sehr auf die Hülle eines Gebäudes und fragen sich zu wenig, wer in einem Gebäude welcher Arbeit nachgehen wird.

STANDARD: Inwieweit sollten Mitarbeiter Mitspracherecht haben?

Bene: In gewissem Rahmen sollte man sie in jedem Fall miteinbeziehen. Es geht um Fragen wie "Wie viel Platz benötigen Sie?", "Wie viel Stauraum?" etc. Klar kann sich nicht jeder seinen Schreibtisch selbst aussuchen.

STANDARD: Wie sieht es mit Hierarchien aus? Fühlen sich Mitarbeiter in weniger hohen Positionen im Großraumbüro weniger wohl?

Bene: Das glaube ich nicht. Ich habe vor kurzem einen Vortrag in einer Pharmafirma gehalten, in der die Mitarbeiter früher in Zellen bzw. Zweierbüros gesessen sind. Jetzt sind sie in Gruppenbüros untergebracht und sehr happy, weil sie viel schneller kommunizieren können. Auch der Vorgesetzte sitzt dort mittendrin. Wenn ein vertrauliches Gespräch auf dem Programm steht, geht man halt in ein Besprechungszimmer.

STANDARD: Manche wollen aber nicht den ganzen Tag ihren Chef im Rücken sitzen haben.

Bene: Das kommt wieder auf die Unternehmenskultur an. Die schlägt sich halt auch in der Einrichtung und Planung von Büros nieder.

STANDARD: Apropos Chef: Auch das "Nine-to-five"-Modell sehen viele als überholt. In der Realität haben Vorgesetzte aber sehr gern Zugriff auf ihre Mitarbeiter, oder? Wie steht es denn in der Realität um die immer stärker propagierte Heimarbeit?

Bene: Wenn die Unternehmenskultur auf Vertrauen basiert, sehe ich da kein Problem. Am Ende des Tages muss jeder Mitarbeiter sein Plansoll erfüllen. Natürlich kommt es auch auf die Unternehmensgröße an. Je größer ein Unternehmen ist, desto schwieriger wird es in dieser Frage. Es hat sich außerdem gezeigt, dass Mitarbeiter den Kontakt zu Kollegen und Vorgesetzten viel stärker brauchen, als dies angenommen wurde. Man kann leicht "verlorengehen".

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STANDARD: Sie sind mit Büros und Büromöbeln aufgewachsen. Welche Gedanken kommen Ihnen, wenn Sie an all die Jahrzehnte und das Thema Büro zurückdenken?

Bene: Ich sehe eine enorme Entwicklung. Ich kann mich gut daran erinnern, dass wir die Schreibtische von früher "Arbeitsmaschinen" nannten, monumentale Trümmer mit wilden Konstruktionen aus Holz und Eisen. Irgendwann setzte die Entwicklung ein, dass alles dynamischer und leichter wurde, auch von der Formensprache und vom Design her. Der Ort namens Büro hat einen viel höheren Stellenwert bekommen. Heute ist ein Büro ein sozialer Ort, an dem man auch Beziehungen pflegt und der viel positiver besetzt ist. Man geht heute lieber ins Büro.

STANDARD: Könnte man sagen, das Büro ist entkaserniert worden?

Bene: Auf jeden Fall. Denken Sie nur an die alten knarrenden Böden und die endlosen Zimmerfluchten, gerade im öffentlichen Bereich.

STANDARD: Hat das Seriöse im Büro an Relevanz verloren?

Bene: Nein, Büroarbeit ist eine ernsthafte Angelegenheit, ein Mittel zum Zweck, um ein Unternehmensziel zu erreichen.

STANDARD: Dennoch sehen manche Büroeinrichtungssysteme – zumindest in den Katalogen – fast wie Wohnzimmerelemente oder frivole Lounges aus. Chillig sagt man heute. Ist das nicht auch Kosmetik?

Bene: Nein, das Ernsthafte und Seriöse wurde um sympathische Aspekte wie Wohlfühlfaktoren und Begegnungsqualitäten ergänzt.

STANDARD: Welches Büro hat Sie im Laufe Ihrer Karriere am meisten beeindruckt?

Bene: Lassen Sie mich die Geschichte vom Magistrat in Waidhofen an der Ybbs erzählen: Es war ein altes Rathaus, das komplett ausgehöhlt wurde. Anschließend wurde sehr viel mit Glas gearbeitet und viel Transparenz in das Gebäude gebracht. Man konnte plötzlich in fast alle Abteilungen hineinschauen. Am Anfang gab es einen Riesenaufschrei seitens der Beamten. Sie wollten sich nicht bei der Arbeit zuschauen lassen. Irgendwann wurde ihnen aber klar, dass sie nichts zu verstecken hatten. Mit der Zeit entwickelten sie sogar Stolz. Es vermittelte ihnen ein Gefühl von Wertschätzung. Und noch etwas: Die Mitarbeiter haben sich auch besser angezogen und sind öfter zum Friseur gegangen.

STANDARD: In Kürze findet in Köln wieder die große Büromöbelmesse Orgatec statt. Was wird heuer gezeigt werden?

Bene: Es gibt zwei Tendenzen. Auf der einen Seite schwappen aus den USA ein Stück weit sogenannte Kojensysteme in unsere Großraumbüros herüber. Auf der anderen Seite werden auch die Kommunikationsbereiche natürlich wieder ein großes Thema sein. Ich meine damit die den Arbeitsplätzen vorgelagerten Kommunikationselemente. Das Thema Schreibtisch, also der Arbeitsplatz an sich, wird eher wenig Bedeutung haben. Wie ein Tisch mit vier Füßen aussieht, weiß man inzwischen. Auch das Thema seiner Größe ist ausgereizt. Kleiner, als die Tische jetzt sind, kann man sie eigentlich nicht mehr machen.

STANDARD: Müssen wir uns Sorgen um den Schreibtisch machen?

Bene: Nein, irgendwo müssen Sie Ihren Computer schließlich draufstellen.

STANDARD: Wagen Sie doch einen Blick in die Kristallkugel: Wie wird das Büro in 50 Jahren aussehen?

Bene: Gar nicht so viel anders als heute. Es wird bestimmt noch stärker zum Kommunikationsort werden. Virtual Reality ist ein Riesenthema. Wahrscheinlich wird es keine komplizierten Videokonferenzen mehr geben, vielleicht werden auch Geschäftsreisen überflüssig, weil man in Form von Hologrammen miteinander reden kann. Den physischen Ort Büro wird es aber immer geben müssen.

STANDARD: Warum?

Bene: Bill Gates hielt vor vielen Jahren einen Vortrag in Wien. Er hat uns damals das Tablet prophezeit, mit dem man immer und überall arbeiten könne. Ich hab schüchtern und leicht ängstlich gefragt, ob wir dann überhaupt noch Büros brauchen. Seine Antwort lautete: "Mach dir keine Sorgen, das Büro wird es immer geben müssen. Es ist ein Ort des Austauschs. Bei uns ist der wichtigste Ort die Cafeteria. Auch dort wird inzwischen gearbeitet." (Michael Hausenblas, RONDO, 24.10.2016)