Wien – Als Eva Cils Tochter vor ein paar Jahren aus der elterlichen Wohnung auszog, brauchte sie keinen Umzugswagen. Von klein auf war es die junge Wienerin gewohnt, ohne Auto auszukommen, wuchs sie doch in der autofreien Siedlung im 21. Gemeindebezirk auf. Matratzen und Kisten wurden auf Fahrradanhänger gehievt, auf zwei Rädern kurvte sie schließlich in ihr neues Heim.

derStandard.at

Die autofreie Siedlung in der Nordmanngasse in Transdanubien gibt es seit 16 Jahren. Zur Jahrtausendwende zogen die ersten Bewohnerinnen und Bewohner in den rund 250 Wohnungen umfassenden Bau ein. Die Planungen begannen schon viel früher. Mitte der 90er-Jahre ergriff eine Gruppe rund um den grünen Gemeinderat Christoph Chorherr die Initiative.

Eva Cil und Susanne Wiedenhofer (links) wollen eine Vorbildfunktion einnehmen, was ein autofreies Leben betrifft.
Foto: Von Usslar

Doch so einfach war das Vorhaben zunächst gar nicht umzusetzen. Denn das Wiener Garagengesetz sieht grundsätzlich vor, dass für jede Wohnung ein Autostellplatz errichtet werden muss. Im Zuge der Projektplanung wurde es 1996 so geändert, dass die Zahl der Pflichtstellplätze auf bis zu zehn Prozent der Wohnungszahl gesenkt werden konnte. Das Ergebnis: In der autofreien Mustersiedlung wurden 25 Parkplätze errichtet.

Bis auf einen Platz für das Carsharing-Auto werden diese von Fahrrädern genutzt. Positiver Nebenaspekt war, dass das dadurch gesparte Geld (etwa drei Millionen Euro) in die ökologische Bauweise, in Grünflächen und Gemeinschaftsräume ging.

Das Carsharing-Auto kann von allen Bewohnern genutzt werden. Der restliche Keller steht mit Fahrrädern voll.
Foto: Von Usslar

Neben Eva Cil ist auch Susanne Wiedenhofer von Anfang an dabei und war an der Konzeptentwicklung beteiligt. "Floridsdorf gilt eigentlich als Autofahrerbezirk, ich habe zuvor im vierten Bezirk gelebt und mir nie gedacht, dass ich einmal hier leben werde", sagt sie und erwähnt die für sie positiven Aspekte beim Rundgang mit dem STANDARD in der Siedlung – zu sehen: Sauna, allgemeines Wohnzimmer mit Terrasse, Hochbeete, Fahrrad- und Holzwerkstatt, Veranstaltungsraum, Fitnessraum, Kinderspielraum und ein Biotop.

Durch die Autofreiheit seien Menschen mit ähnlichen Bedürfnissen eingezogen. Man habe Gemeinsamkeiten, feiere Feste und mache zusammen Urlaub. Der Verein Kokos, dessen Obfrau Wiedenhofer ist, tut sein Übriges für das gute Zusammenleben und organisiert einmal im Jahr ein Siedlungsfest.

Manche Dinge liefen bzw. laufen aber auch nicht nach Plan: Neuhinzugezogene erlauben sich doch manchmal ein Auto, obwohl sie sich bei der Unterzeichnung des Mietvertrags dazu bekennen, nicht ständig ein Auto zu nutzen bzw. eines zu besitzen. "Es gibt keine Sanktionsmöglichkeiten", bedauert Wiedenhofer, die umso mehr versucht, positiv vorzuleben, dass der Alltag auch unmotorisiert bewältigbar ist. "Wir nutzen Räder oder Öffis. Es gibt Radanhänger auszuborgen. Manchmal kann man sich für größere Einkäufe auch ein Taxi leisten."

Wohnungsumzug mit Fahrrad und Anhänger.
Foto: Cil

Auch vom Bezirk würden sich Cil und Wiedenhofer noch mehr Unterstützung wünschen. Zwar sei bei der Taktung der Öffis und dem Ausbau der Radwege viel passiert in den letzten 16 Jahren, doch vor allem hinsichtlich weiterer Projekte sehen sie die Bezirkspolitiker eher als Bremser. Die Autofrei-Pionierinnen hofften eigentlich, andere Leute von ihrer Idee begeistern zu können. Kleine Erfolge sehen sie dennoch: So gibt es immer mehr Wohngruppen, die gemeinschaftlich bauen. Das ist es auch, was Cil an Erfahrung weitergeben will: "Sich vor dem Einzug, in der Planungsphase schon kennenzulernen."

Cil will auch die Bauträger – die autofreie Siedlung wurde von Gewog und Domizil errichtet – in die Pflicht nehmen. "Partizipation muss gelebt werden. Welche Bedürfnisse haben die künftigen Bewohner?" Das müsste berücksichtigt werden.

Auch bei der Autofreiheit wünscht sie sich mehr lenkende Maßnahmen. So outet sich Cil als Fan der Parkraumbewirtschaftung – in Floridsdorf ein Thema, das wohl noch länger ein Tabu bleibt. (Text: Rosa Winkler-Hermaden, Video: Maria von Usslar, 12.10.2016)