Eine Frau geht durch die zerstörte Hafenstadt Les Cayes im Südwesten Haitis.

Foto: AFP / HECTOR RETAMAL

Port-au-Prince / Wien – In den sozialen Netzwerken macht im Zusammenhang mit den Hurrikanschäden in Haiti derzeit eine eindeutige Botschaft die Runde: "Gib nichts dem amerikanischen Roten Kreuz." Eine alte Wunde reißt angesichts anlaufender Hilfsmaßnahmen auf, und schon macht das Stichwort "NGO-Republik" wieder die Runde.

So nannten Einheimische die Situation in Haiti nach dem verheerenden Erdbeben von 2010. Vor allem kaum vorhandene Strukturen in dem politischen Dauerkrisenland führten dazu, dass sich zahlreiche der im Land tätigen internationalen Hilfsorganisationen – deren Anzahl wurde auf 10.000 geschätzt – dazu entschieden, die Bevölkerung auf eigenem Weg zu unterstützen. Die Folge war ein vollkommen chaotisches Katastrophenmanagement, das auch die Uno nicht zu ordnen vermochte. Nicht von ungefähr hörte man in Haiti in den Jahren danach auf Demos oft das skandierte Motto: "Uno, geh nach Hause."

Die größten Vorwürfe gegen die sogenannte "NGO-Republik": Von den vielen gespendeten Milliarden wurde nur ein Bruchteil an die Bevölkerung weitergegeben. Hilfsorganisationen verfolgten einen eigenen Hilfsplan, ohne auf lokale Gegebenheiten oder Initiativen der Einheimischen Rücksicht zu nehmen. Und: Sie arbeiteten vorwiegend mit ausländischem Führungspersonal.

Massive Vorwürfe gegen ARC

An dieser Stelle muss betont werden, dass über viele Organisationen kaum Wehklagen zu hören waren. Doch der Ruf der "NGO-Republik" blieb hängen – und dabei insbesondere ein Bericht des US-amerikanischen Investigativnetzwerks Pro Publica und des National Public Radio aus dem Jahr 2015 über das Amerikanische Rote Kreuz (ARC), der auf internen Dokumenten und Aussagen ehemaliger Mitarbeiter basiert.

Das vernichtende Fazit: Missmanagement, extrem hohe Nebenkosten und Arroganz gegenüber den Einheimischen. In Zahlen gegossen lautet der Vorwurf: 500 Millionen US-Dollar an Spenden wurden eingenommen, unter anderem wurde der Bau hunderter Häuser für obdachlos gewordene Haitianer versprochen, doch laut Bericht wurden letztlich nur sechs Gebäude errichtet.

Das ARC wehrte sich gegen die Vorwürfe und zeigte sich enttäuscht über den aus Sicht der NGO "ungenauen" Bericht. Zahlreiche Haitianer ließen sich davon offenbar nicht überzeugen, wie ein Blick in soziale Netzwerke zeigt. (ksh, 11.10.2016)