Stierkampf auf Bosnisch: Die Menschen stehen draußen, drinnen sind nur die Tiere.

Foto: korida/golden girls

Der Regisseur Siniša Vidović war bisher nur einem kleinen Publikum bekannt. Das lag auch daran, dass er sich bisher auf Kurzfilme konzentrierte. Das allerdings recht erfolgreich. Sein Kurzfilm "Vater Morgana" gewann zahlreiche Preise, unter anderem für den besten österreichischen Studentenkurzfilm im Jahr 2008. Wer das Vergnügen hatte, diesen Film zu sehen, dem wurde schnell klar, dass Vidović ein besonderes Gespür dafür hat, die innere Zerrissenheit der unter den Kriegsfolgen leidenden Menschen auf dem Balkan in Szene zu setzen.

Eine 250 Jahre alte Tradition

Jetzt kommt sein erster Langfilm "Korida" in die heimischen Kinos. Er lief schon auf zahlreichen Festivals und wurde dort einhellig von der Kritik gefeiert. Die Grazer Diagonale 2016 sprach davon, dass der Film "intensiv" und von "sakraler Poesie" sei. Was macht ihn aber so besonders?

"Korida" ist eine Erzählung über die bosnische Nachkriegsgesellschaft, die sich in einer nicht endenwollenden Epoche der politisch gelenkten Spaltung befindet und schnurstracks dem finalen Akt entgegenläuft. Mitten in dieser unruhigen Zeit wird eine alte bosnische Tradition immer populärer: die Koridas. Das sind Stierkämpfe bosnischer Art. Sie finden nicht zwischen dem Tier und einem Menschen statt wie in Spanien, sondern zwischen den Bullen. Die Stiere kämpfen gegeneinander, bis eines die Arena verlässt. Es ist eine knapp 250 Jahre alte Tradition, die in den vergangenen Jahren einen regelgerechten Boom in Bosnien und Herzegowina erlebt. Das Besondere daran: Der Brauch ist weder bosniakisch noch kroatisch oder serbisch, sondern einfach eine alte bosnische Tradition.

Während der Koridas spielen die sonst alles dominierenden ethnischen Identitäten kaum eine Rolle. Die Menschen lassen die Stiere kämpfen und suchen so den interkulturellen Dialog auf Umwegen.

Psychische Entlastungen

Vidović hat mit "Korida" einen Film über das Suchen und Finden einer bosnischen Identität durch das Wiederaufleben einer alten Tradition gemacht. Er ist Zeugnis einer bosnischen Identität, die sich etwas schüchtern in der Öffentlichkeit ausprobiert. Sein Film ist aber auch ein Manifest politikmüder Proletarier und Bauern, die sich nichts sehnlicher wünschen als etwas Normalität. Und diese zeitweise in den Koridas wiederfinden.

Indem Vidović einige Stierbesitzer in ihrem Alltag und bei den Vorbereitungen auf die Koridas begleitet, macht er eine der wichtigsten Funktionen deutlich, die diese Veranstaltungen haben: die Menschen psychisch zu entlasten.

Golden Girls Filmproduktion

Ein etwas anderes Bosnien

Vidovićs Anliegen ist es auch, ein etwas anderes Bosnien zu präsentieren. Und trotzdem ist "Korida" kein idealisierender Film. Er zeigt sehr gut, wie fragil alles ist und dass die Politik und die Kirche nicht bereit sind, das Verbindende so einfach hinzunehmen. Im Lauf der Dreharbeiten wurde die traditionsreichste aller Koridas, die Grmeč-Korida in Medjedja, nach 242-jährigem Bestehen verboten. Etwas, das nicht einmal osmanische Sultane, österreichische Kaiser und Tito wagten, wird im heutigen Bosnien und Herzegowina mit fadenscheinigen Argumenten vollzogen. Angeblich gibt es in der Nähe des Veranstaltungsplatzes Minen, aber auch Überreste von Personen aus dem Zweiten Weltkrieg werden dort vermutet, und es sei pietätslos, dort eine Veranstaltung abzuhalten.

Film einer Generation

"Korida" hat das Potenzial, der Film einer ganzen Generation zu werden, da er, ohne belehrend zu wirken, das Schöne und Verbindende und das Dunkle und Trennende miteinander kommunizieren lässt. Die Zuseher werden in dieser feinfühligen Studie einer Nachkriegsgesellschaft mit vielen beeindruckenden Bildern und einer guten Story für knapp 90 Minuten sehr gut unterhalten, aber auch – und auch das ist eine Kraft des Films – sensibel an die Probleme der bosnischen Gesellschaft herangeführt. (Siniša Puktalović, 13.12.2016)