"Terror – Ihr Urteil" mit Lars Eidinger (Verteidiger Herr Biegler), Martina Gedeck (Staatsanwältin Frau Nelson), Florian David Fitz (Angeklagter Lars Koch), Burghart Klaußner (Vorsitzender Richter).

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Lotet rechtliche und moralische Grenzen aus: Schriftsteller Ferdinand von Schirach schrieb "Terror – Ihr Urteil" als Theaterstück.

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Trailer zu "Terror".

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Wien – Ein Kampfpilot schießt eigenmächtig ein von Terroristen entführtes Flugzeug mit 164 Passagieren ab, weil es Kurs auf 70.000 Personen in der Münchner Allianz Arena nimmt. In "Terror – Ihr Urteil" (Montag im ORF, ARD und SRF 2) macht Ferdinand von Schirach Zuseher zu Geschworenen, indem er sie über "schuldig" oder "nicht schuldig" abstimmen lässt. Florian David Fitz spielt den Angeklagten Lars Koch.

STANDARD: Alles dreht sich um die Frage "schuldig" oder "nicht schuldig". Wie hätten Sie als Geschworener entschieden?

Fitz: Von Schirach vermengt in dem Stoff zwei Sachen, um den Zuseher reinzuziehen. Die Strafsache, also ob er nach dem Gesetz zu verurteilen ist, und die moralische Frage, ob man einige Leben gegen viele Leben aufwiegen darf. Nach dem Gesetz ist er glatt zu verurteilen. Er hat einen Befehl missachtet und diese Menschen getötet. Das ist der gesetzliche Stand. Ob er später begnadigt werden würde, weiß ich nicht.

STANDARD: Und aus Ihrer Sicht? Darf man Leben gegen Leben aufwiegen?

Fitz: Das ist ein Dilemma. Sogar nach dieser Zeit, die ich mit dieser Geschichte verlebt habe. Ich verstehe die Argumente von beiden Seiten. Das Parlament hatte entschieden, dass es in Ausnahmefällen möglich ist, ein Flugzeug abzuschießen, um andere zu retten. Laut Verfassungsgerichtshof widerspricht das aber dem Grundsatz, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Das ist natürlich auch richtig.

Florian David Fitz spielt Lars Koch, der wegen Mordes an 164 Personen angeklagt ist.
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STANDARD: Aber es gibt länderspezifische Unterschiede.

Fitz: Andere Demokratien wie die USA, Frankreich und England würden damit vermutlich pragmatischer umgehen. Die würden sagen: Die Situation ist scheiße, es gibt nur das geringere Übel. Diese Rechtsauffassung kann ich nachvollziehen. Ich glaube, dass uns die Verfassung Sachen zumutet, die vom Gefühl her falsch sind, aber einen höheren Grund haben, warum sie so sein müssen. Sonst könnte jeder machen, was er will.

STANDARD: Kann man so einen Fall auf einer moralischen Ebene diskutieren, obwohl der Rechtsrahmen eindeutig ist?

Fitz: Natürlich. Es ist zwar ein fiktiver Fall, nach dem Gesetz dürfen wir aber alles infrage stellen, wir werden damit nicht den Verfassungsschutz auf den Plan rufen. Von Schirach hat eindeutig gesagt, dass der Angeklagte zu verurteilen ist, trotzdem interessieren ihn genau diese Grenzfälle. Unser Empfinden widerspricht dem Recht. Damit packt er die Leute und zeigt, dass es nicht so einfach ist. Die meisten von uns denken, dass es logisch und einfach ist: wenige gegen viele. Rutscht man aber in diesen Film rein, merkt man, dass man mit dieser Argumentation auf sehr, sehr dünnem Eis ist.

STANDARD: Die Intention hinter dem Fall ist, eine Debatte auszulösen?

Fitz: Absolut. Das Drama findet ausnahmsweise vor dem Fernseher statt. Es kann nichts Schöneres passieren, als über unsere Verfassung zu diskutieren und zu fragen, welche Werte das sind, die wir erkämpft haben, und können wir sie verteidigen? Diese Bewusstmachung ist in einem Stadium, in dem alle ihrem Gefühl nachrennen, sehr wichtig.

STANDARD: "Terror" existiert ja bereits als Theaterstück und hat schon Debatten ausgelöst. Glauben Sie, dass nach der Ausstrahlung am Montag der Diskurs so befeuert wird, dass diese Frage womöglich in ein neues Gesetz mündet?

Fitz: Nein, das glaube ich nicht. Es wird eine Debatte darüber geben, das schon. Die Verfassungsrichter haben ja aus einem guten Grund so geurteilt. So leicht ist das nicht zu kippen, außer wenn vielleicht so ein Flugzeug wirklich mal abstürzt und 70.000 Leute sterben.

STANDARD: Im Theaterstück stimmt das Publikum überwiegend für "nicht schuldig" – im Verhältnis 60:40. Wird sich das im Fernsehen umdrehen?

Fitz: Ich wüsste nicht, warum das im TV anders laufen sollte. Sollten aber die Länder wie Deutschland, Österreich oder die Schweiz anders abstimmen, wäre das wirklich interessant. Vielleicht gibt es einen Unterschied von ein paar Prozentpunkten, aber ich glaube, dass es den Durchschnitt abbilden wird. Von Schirach wurde gefragt, ob er es nicht entsetzlich findet, dass sich nur 40 Prozent der Leute für "schuldig" entscheiden, und er hat gesagt, dass er damit mehr als glücklich ist. Immerhin entsagen 40 Prozent ihrem Gefühl und folgen der Vernunft, was wirklich auch schwierig ist.

STANDARD: Legt man das über die Gesellschaft, sind 40 Prozent rationale Leute eine ganze Menge.

Fitz: Das ist es, und vor allem ist es beachtlich, weil dieser Grundsatz nicht so leicht mit dem Herzen nachvollziehbar ist. Ehrlich gesagt kämpfe ich ja selber immer noch damit.

STANDARD: Welchen Einfluss könnte Ihre Darstellung des Angeklagten auf das Abstimmungsergebnis der Zuseher haben? Er kommt sympathisch rüber, und Sie als Person dürften auch eher als sympathisch wahrgenommen werden.

Fitz: Das ist eine Frage, die sich nicht beantworten lässt. Von Schirach entgegnet, dass es vor Gericht ja genauso ist, weil Sympathien eine Rolle spielen. Am Ende sind das vielleicht maximal ein paar Prozentpunkte. Letztendlich war es eine Entscheidung des Regisseurs Lars Kraume: Wir hatten unterschiedliche Takes, es gab sehr viel strengere Szenen mit kühlerer und kälterer Argumentation. Kraume wollte aber nicht, dass es auf die eine oder andere Seite kippt, sondern es den Leuten mit ihrer Entscheidung so schwer wie möglich machen.

STANDARD: Sie haben ihn auch härter gespielt?

Fitz: Ja. Man kann natürlich auch aus seiner Sicht sagen, dass es eine Unverschämtheit ist, was ihm die Staatsanwältin vorwirft. Er sitzt im Flugzeug und reißt sich den Arsch auf, sie sitzt unten und hat alle Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, weil er da oben sitzt.

STANDARD: Welche Erwartungen haben Sie mit dem Film in puncto Quoten?

Fitz: Das beschäftigt eher die Produzenten, aber ich glaube schon, dass wir damit ein großes Interesse kreieren können und glaube nicht, dass für diese spannende Frage zuvor ein Flieger abstürzen und explodieren muss. Wir können uns ein Szenario, dass ein Flieger entführt wird, alle vorstellen. Das ist nicht die unwahrscheinlichste aller Annahmen.

STANDARD: Eine Frage, die viele beschäftigt: Warum wurde das Stadion mit den 70.000 Besuchern nicht rechtzeitig evakuiert, obwohl es zeitlich möglich gewesen wäre?

Fitz: Das ist eine Sollbruchstelle. Wir wissen, dass in München im Falle einer Drohung sofort alles geräumt wird. Man wollte dem beikommen, indem der Zeitplan geändert wurde und das Ziel nicht so klar war. Wie kann man innerhalb von einer Stunde die gesamte Stadt räumen, wenn ein Flugzeug im Anflug ist? Wenn das Allianz Stadion leer ist, wäre er vielleicht weiter zum Olympiastadion oder in die Innenstadt geflogen. Gut, dann sterben vielleicht nicht 70.000, sondern 4.000 oder wie viele auch immer. Oder was passiert, wenn er stattdessen ins AKW fliegt? Das kann man beliebig verschieben, und es geht an der eigentlichen Frage vorbei: die kleine oder die große Zahl? Wobei das auch nicht ganz stimmt, weil es ja die kleine und die große Zahl ist – oder eben nur die kleine Zahl.

STANDARD: Wenn Sie als Geschworener ausgewählt werden, würden Sie dem Folge leisten?

Fitz: Das ist spannend, aber momentan hätte ich einfach ein Zeitproblem (lacht). (Oliver Mark, 16.10.2016)