Wien/Purbach – Emily meint es ernst und hat das englische Wetter mitgebracht. Stolz thront die "Spirit of Ecstasy", wie die vielleicht berühmteste Kühlerfigur, die von Rolls-Royce, heißt, über dem Grill vom Dawn.

Der Dawn ist das neueste Fahrzeug im Rolls-Royce-Programm und ist angeblich vom Silver Dawn aus den 1950er-Jahren inspiriert. Und wenn es nicht stimmt, dann ist es zumindest gut erfunden – wie vielleicht auch noch die eine oder die andere weitere Geschichte in der Historie der britischen Luxusmarke.

Bereits seit 1911 lüftet die gute Emily ihr Kleidchen über den Rolls-Royce-Kühlern.
Foto: Rolls-Royce

Gerade die traditionellen, schönen Geschichten, die bemüht man bei Rolls-Royce gerne. Da ist zum Beispiel jene von Mark Court. Er malt von Hand, mit einem Pinsel aus Haaren vom Eichhörnchenschweif, die Coachline, die zierliche Linie oben auf der Seite am Wagen. Er wird in die entferntesten Teile der Welt geflogen, wenn ein Scheich vergessen hat, die Coachline an seinem neuen Rolls-Royce mitzubestellen, denn nur Mark zieht die Coachline.

Noch. Denn nun lernt er seinen Sohn an, erfahren wir, als wir den Dawn in Wien übernehmen – einen mit Coachline –, um mit ihm ins Burgenland aufzubrechen.

Die Coachline darf bei Rolls-Royce nur einer ziehen. Mark Court malt sie von Hand.
Foto: Rolls-Royce

Emily macht der Regen nichts aus. Aber die Reifen hadern ein wenig mit geringem Grip auf den kalten, nassen Straßen. Denn auch wenn man den Dawn nicht hetzt, ist da ordentlich Dampf unter der Haube – der 6,6 Liter große Twin-Turbo-V12 schickt bis zu 571 PS und 820 Newtonmeter an die Räder. In fünf Sekunden sprintet das fast 5,3 Meter lange Cabrio aus dem Stand auf Tempo 100. Bei 250 km/h regeln die Briten dann ab. Obwohl, Emily hielte mehr aus.

Gleiten statt hetzen

Nur damit da jetzt kein falsches Bild entsteht: Nein, der Dawn ist nicht zum Rasen gebaut. Der Wagen will verwöhnen, schmeicheln und streicheln. Die Fingerkuppen etwa, wenn man das feine Leder berührt oder das edle Holz.

Natürlich wird alles von Hand bearbeitet. Bei Rolls-Royce fliegen einem die Manufaktursuperlative gleich so um die Ohren.

Rotes Leder trifft dunkles Holz.
Foto: Rolls-Royce

Das geht so weit, dass man uns sagt, man stelle gar nicht in erster Linie Autos her, sondern Luxusgüter. Dass sich die Kombination aus penibelst bearbeiteten und sorgsam kombinierten Materialien auch noch hervorragend fährt, ist da anscheinend eher ein sehr willkommener Nebeneffekt.

Wir haben mit unserem Dawn ein unendliches Glück. Er ist ein schönes Fahrzeug, mit rotem Leder und dunklem Holz. Alles sehr nobel, dezent und edel.

Besonders schön ist die Abdeckung dort, wo das Verdeck verschwindet.
Foto: Rolls-Royce

Wir haben aber auch schon Kundenfahrzeuge gesehen, die weit mehr Arbeit waren und die quasi rausschreien, dass die schiere finanzielle Großzügigkeit beim Autokauf kein Garant für auch nur einen Funken von Geschmack ist.

Weil bei Rolls-Royce eben alles in Handarbeit gemacht wird, versucht man jeden noch so skurrilen Kundenwunsch umzusetzen – selbst wenn man dafür Gold in einen Lack einarbeiten muss.

Die Haube bleibt drauf

Optische Spompernadeln blieben unserem Dawn erspart. Und so ist es sogar schade, dass wir, ob des Regens, am Weg nach Purbach das rote Stoffdach nicht öffnen können, damit das Interieur ja keinen Schaden nimmt. Dabei wäre der Dawn gerade offen so schön, wenn man die Holzabdeckungen sieht dort, wo das Dach im Heck versinkt.

Rot ist nicht nur das Leder innen, sondern auch das Stoffverdeck.
Foto: Rolls-Royce

So genießen wir die Eleganz in diesem Auto, die Laufruhe des V12 – und dass das moderne Infotainmentsystem auf Knopfdruck hinter einer dezenten Holztafel verschwindet.

Was die Assistenzsysteme angeht, kann es sich Rolls-Royce nicht leisten zu schwächeln. Da greift der Luxushersteller einfach ins Regal von Premiummutter BMW. Und so wird demnächst auch das autonome Fahren bei Rolls-Royce Einzug halten. Jetzt, wo die Käufer ihren Wagen endlich selbst fahren wollen. (Guido Gluschitsch, 14.10.2016)