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Eine Kuh mit BSE, aufgenommen in Frankreich 2009, wo in Rebreuve sur Canche ein Fall von BSE auch bestätigt wurde.

Foto: Reuters

Es klingt wie das Szenario eines Horrorfilms: Ein unbekannter Erreger befällt die Gehirne von Menschen und Tieren. Der Keim verwandelt seine Opfer in völlig verwirrte Geschöpfe, die sich nur noch schwankend bewegen können, bis sie irgendwann vollends zusammenbrechen. Und sterben. Die mysteriöse Mikrobe lässt sich nicht in Schach halten. Weder Desinfektionsmittel noch Strahlung können ihr etwas anhaben, und auch auskochen hilft nicht. Schon bald geht panikartige Angst um.

Das alles ist keine Fiktion, sondern wurde vor gut 30 Jahren bittere Realität. Der Rinderwahnsinn hielt damals Europa in Atem. Die auf den wissenschaftlichen Namen Bovine Spongiforme Enzephalitis, kurz BSE, getaufte Tierseuche brach 1984 in Großbritannien aus und wurde dort bei mindestens 183.000 Kühen und Mastbullen diagnostiziert. Hundertausende ebenfalls infizierte Tiere dürften allerdings unerkannt von der Fleischindustrie verarbeitet worden sein – zu Faschiertem, Steaks und Würsten.

Die britische Regierung ließ zunächst verkünden, für die Bevölkerung bestünde keine Gefahr. Sie irrte. Inzwischen hatten Forscher den mutmaßlichen Erreger dingfest gemacht. Demnach handelte es sich nicht um einen Mikroorganismus, sondern um ein Proteinpartikel, ein so genanntes Prion. BSE hatte somit große Ähnlichkeit mit der Schafsseuche Scrapie oder der normalerweise sehr seltenen, bei Menschen auftretenden Creutzfeld-Jakob-Krankheit, englisch abgekürzt CJD.

Genese der Creutzfeld-Jakob-Krankheit

Prionen haben leider einige brandgefährliche Eigenschaften. Zum einen vermehren sie sich und bilden im Gehirn immer größere Ansammlungen. Unzählige Neuronen werden dabei zerstört, das Hirngewebe in eine schwammige Masse verwandelt.

Doch damit nicht genug, die Proteinmoleküle sind auch ansteckend. Infolge des BSE-Ausbruchs erkrankten in Großbritannien 178 Personen an vCJD, einer vermutlich durch den Verzehr von prionenverseuchtem Rindfleisch verursachten CJD-Variante. Ein gutes Dutzend weiterer Fälle wurde aus anderen Ländern gemeldet. Zootiere und Hauskatzen waren ebenfalls betroffen.

BSE selbst stammt vielleicht von Schafen mit Scrapie ab. Die Rinder infizierten sich über Proteinmehl aus der Kadaververwertung, welches ihnen ins Futter gemischt wurde. Die Erreger können auf andere Spezies überspringen, aber nicht immer. "Hunde scheinen gar keine Prionenerkrankungen zu bekommen" erklärt der Biochemiker Holger Wille von der University of Alberta im kanadischen Edmonton. Auch sämtliche Vögel und Kaltblüter sind nach den bisherigen Erkenntnissen immun.

Molekulare Irrläufer in Neuronen

Der Ursprung der Prionen wurde bereits vor einigen Jahren entdeckt. Die Partikel sind fehlgebildete Moleküle des vor allem in Nervenzellen produzierten Proteins PrPc, welches bei praktisch allen Wirbeltieren vorhanden ist. Seine Funktion ist noch nicht eindeutig geklärt, wie Wille erläutert. "Es sitzt an der Zelloberfläche." PrPc ist womöglich bei der interzellulären Kommunikation und der Bildung von isolierenden Myelin-Schichten an der Außenseite von Neuronen aktiv, meint der Experte.

Eine lebenswichtige Funktion scheint das Protein allerdings nicht zu haben. Einer norwegischen Ziegenrasse zum Beispiel fehlt PrPc schon lange. Die Tiere sind dennoch gesund. "Gegen Scrapie müssten sie komplett immun sein", sagt Holger Wille. Genetisch modifizierte Mäuse ohne PrPc lassen sich nachweislich nicht mehr mit Prionen infizieren. In Ermangelung ihres gesunden Gegenstücks fällt die Vermehrung der molekularen Irrläufer offenbar aus.

Auf welcher Basis die Reproduktion verläuft, hat nun ein internationales Forscherteam unter Willes Leitung aufgezeigt. Die Experten züchteten eine künstlich angepasste Version des Prionen-Proteins PrPSc in Mäusehirnen und analysierten seine Struktur mithilfe hochauflösender elektronenmikroskopischer Aufnahmen. Den Ergebnissen zufolge bildet es ungewöhnlich flache Moleküle, die sich wie Stapelchips aufeinanderschichten und dabei lange Fasern bilden.

Die Strukturen dahinter

Die Vermehrungsfähigkeit von PrPSc wird durch eine fehlerhafte Faltung ausgelöst. Die infektiöse Form verfügt über viele so genannte β-Faltblätter mit starken Wasserstoffbrücken, erklärt Holger Wille. Letztere sind im gesunden Molekül mit Schutzkappen aus weiteren Eiweißbausteinen versehen, nicht aber bei PrPSc. Unbedeckte β-Faltblätter wiederum können die Struktur noch nicht gefalteter Proteine bestimmen.

Aus unfertigem, frisch produziertem PrPc wird PrPSc, welches sich am Ende der Faser einklinkt und sie so verlängert. Jedes verwandelte Molekül dient als Vorlage für die nächste Transformation – ein biochemischer Teufelskreis. Der Mechanismus widerspricht sämtlichen bisherigen Thesen zur Prion-Reproduktion. In weiteren Untersuchungen sollen unter anderem die Strukturen von natürlichen BSE- und CJD-Prionen verglichen werden. Das ist technisch etwas schwieriger, meint Wille. (Kurt de Swaaf, 19.10.2016)