Da Insolvenzverfahren zu einem volkswirtschaftlichen Schaden führen, kommt der Insolvenzprophylaxe entscheidende Bedeutung zu.

Illustration: Davor Markovic

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2016 wurden in Österreich insgesamt 2652 Unternehmen insolvent. Die Gründe hierfür sind vielfältig, doch zeigt die Realität, dass viele betroffene Unternehmer die Krisensituation nicht rechtzeitig (er)kennen. Tatsächlich ist es aber möglich, die Insolvenz abzuwenden, wenn rechtzeitig gegengesteuert wird.

Das österreichische Insolvenzrecht kennt zwei Insolvenzgründe: die Zahlungsunfähigkeit, die bei allen Arten von Schuldnern zum Tragen kommt, und die Überschuldung, die nur bei juristischen Personen, Verlassenschaften sowie verdeckten Kapitalgesellschaften (wie etwa der GmbH & Co KG) einen Grund für die Insolvenzeröffnung bildet. Liegt einer dieser Insolvenzgründe vor, muss der Schuldner einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellen.

Anders als in Deutschland gibt es in Österreich keine gesetzliche Definition des Begriffs "Überschuldung". Da die rein rechnerische Überschuldung – also das Überwiegen der Passiven über die Aktiven sowie der Umstand, dass das Vermögen die Schulden nicht mehr deckt – die dynamische Komponente und insbesondere die Erwerbschancen des Unternehmens vernachlässigt, hat der Oberste Gerichtshof die Überschuldung als sogenannten Doppeltatbestand definiert.

In diesem Sinne ist ein Unternehmen nur dann überschuldet, wenn zusätzlich zur rechnerischen Überschuldung auch noch eine zweite Voraussetzung, die sich aus der laufenden Betriebstätigkeit des Unternehmens ergibt, erfüllt ist. Die Berücksichtigung des Umstands, dass es sich bei einem Unternehmen um eine lebende Einheit handelt, erfolgt mithilfe der "Fortbestehensprognose". Insolvenzrechtliche Überschuldung – und sohin auch die Pflicht zu Stellung eines Insolvenzantrags – liegt demnach nur dann vor, wenn neben der rechnerischen Überschuldung eine negative Fortbestehensprognose vorliegt.

Da Insolvenzverfahren zu einem volkswirtschaftlichen Schaden führen, kommt der Insolvenzprophylaxe entscheidende Bedeutung zu. Ziel muss daher sein, Insolvenzen nach Möglichkeit bereits vorbeugend zu vermeiden und (über)lebensfähige Unternehmen zu sanieren.

Frühe Sanierungsschritte

Für die erfolgreiche Krisenbewältigung und Sanierung von Unternehmen ist es entscheidend, möglichst frühzeitig entsprechende Sanierungsschritte zu setzen. In Österreich hat sich die Fortbestehensprognose seit vielen Jahren als das Instrument etabliert, auf dessen Grundlage ein Bild über die Überlebensfähigkeit von Unternehmen erarbeitet wird.

Die Wirtschaftskammer Österreich hat dieses Jahr unter dem Schlagwort "Jedes Unternehmen braucht eine Fortbestehensprognose" einen neuen Leitfaden zu dieser Thematik herausgebracht, der sowohl Unternehmern als auch Beratern in Krisensituationen dienlich zur Verfügung stehen soll (www.wko.at/Content. Node/Interessenvertretung/Wirtschaftsrecht/Fortbestehensprognose2016.pdf).

Das Instrument der Fortbestehensprognose basiert auf einer 30 Jahre alten OGH-Entscheidung, die bis heute noch immer aktuell ist und keine Änderung erfahren hat. Mithilfe der Fortbestehensprognose wird eine Einschätzung in Hinblick auf die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens getroffen. Der OGH hat bereits in seiner Leitentscheidung aus dem Jahr 1986 festgehalten, dass mithilfe sorgfältiger Analysen von Verlustursachen, eines Finanzierungsplans sowie der Zukunftsaussichten des Unternehmens die Wahrscheinlichkeit der künftigen Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens zu prüfen ist.

Viele Helfer werden gebraucht

Verantwortlich für die Erstellung der Fortbestehensprognose ist die Geschäftsführung unter Mitwirkung eines allfälligen Aufsichtsrates. In der Praxis unterstützen dabei selbstverständlich Unternehmensberatungen und Wirtschaftstreuhänder. Aus der Tatsache, dass im Falle einer positiven Fortbestehensprognose von der Zahlungs- und Lebensfähigkeit des Unternehmens ausgegangen wird, folgt, dass an Fortbestehensprognosen höchste Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind.

Der konkrete Umfang jeder Prognose hängt freilich von den Besonderheiten des jeweiligen Unternehmens ab. Die Beurteilung, ob ein Unternehmen lebensfähig ist, erfolgt im Rahmen der sogenannten Primär- und Sekundärprognose. Im Zuge der Primärprognose ist die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit für die nähere Zukunft (in der Regel sechs Monate bis maximal ein Jahr) nachzuweisen. Die Sekundärprognose muss weiters darlegen, dass längerfristig gesehen mit der Wiederherstellung der Ertragskraft des Unternehmens zu rechnen ist.

Dabei darf nicht übersehen werden, dass beide Prognosen von gleicher Wichtigkeit sind. Denn nur dann kann eine begründete Aussage dahingehend getroffen werden, ob das Unternehmen künftig seine geschäftlichen Aktivitäten unter Einhaltung seiner Zahlungsverpflichtungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fortführen kann.

Insolvenzantrag nicht nötig

Wird im Rahmen der Überschuldensprüfung die Zahlungs- und Lebensfähigkeit des Unternehmens prognostiziert, so liegt keine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne vor. Konsequenz einer positiven Fortbestehensprognose ist sohin, dass kein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt werden muss.

Dies ist auch im Zusammenhang mit der Haftung der Geschäftsleitung von erheblicher Bedeutung. Die Insolvenzantragspflicht – und damit auch die Verantwortung für die Richtigkeit einer positiven Fortbestehensprognose – trifft jedes einzelne Organmitglied. Auch in diesem Zusammenhang ist daher ein rechtzeitiges Erkennen und frühzeitiges Reagieren wesentlich. Die Verletzung der Insolvenzantragspflicht und die daraus resultierende Insolvenzverschleppung würden nämlich zu einer persönlichen Haftung des jeweiligen Organs führen.

In der Praxis zeigt sich, dass die Fortbestehensprognose sowohl aus volkswirtschaftlicher als auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht ein zentrales Instrument der Insolvenzprophylaxe bildet. Ihr Einsatz in einer Krisensituation kann wesentlich dazu beitragen, künftige Entwicklungspotenziale eines Unternehmens zu erkennen und zu fördern, um so (über)lebensfähige Unternehmen zu sanieren. (Thomas Trettnak und Stefanie Heimel, Wirtschaft & Recht Journal, 14.10.2016)