Ultralinke haben in China zurzeit freies Schussfeld auf Reformer. So attackiert das Pekinger Magazin Wuyou Zhixiang (Utopia) den Reformtheoretiker Wang Chanjiang nun als "Parteifeind". Der renommierte Parteiforscher gehört der ZK-Parteihochschule – wichtigste Kaderschmiede für Chinas Führung – seit 1985 an. Doch das hielt die Ultralinken nicht ab, den Institutsdirektor wie in der Kulturrevolution zu denunzieren. Wang "trompetet" für eine westliche Demokratie und für Gewaltenteilung und "negiert den Klassenkampf".
In einem offenen Brief verlangen nun hunderte KP-Mitglieder, die meisten pensionierte Funktionäre, eine parteiinterne Bestrafung und seinen Rausschmiss aus der Parteihochschule.
Der schwerste Vorwurf von Utopia gegen Wang zeigt, woher der Wind weht: Wang handle gegen Parteichef Xi Jinping – der fordert von den Mitarbeitern der Parteihochschule, der Akademie für Sozialwissenschaften und allen Parteimedien, der Partei widerspruchslos zu folgen. Xi folgt natürlich einem Kalkül: Er will innerparteiliche Kritiker abschrecken, bevor vom 24. bis 27. Oktober in Peking ein Sonderparteitag zu Fragen der Ideologie und zur Fortsetzung seines "Krieges gegen die Korruption" zusammentritt.
Denunzieren, kapern, ...
Angst und Anpassung nehmen daher zu. Wang hatte Ende Juli in einer Vorlesung für einen offeneren Umgang der Partei mit ihrer Geschichte plädiert und für den Ausbau innerparteilicher Demokratie geworben. Ein heimlicher Mitschnitt seiner Rede löste dann das Kesseltreiben gegen ihn aus.
Während linke Ideologen Oberwasser haben, geht es Reformern an den Kragen. Die Zensoren machten nicht einmal halt vor Veteranen, die wegen ihrer Parteiverdienste seit 25 Jahren die offenste Reformzeitschrift des Landes Yanhuang Chunqiu (China zu allen Jahreszeiten) herausgeben durften. Pekings Propagandazentrale ließ sie im Juli gleichschalten. Eine neu gebildete "Schreibgruppe" setzte die alte Redaktion vor die Tür und quartierte sich in deren Gebäude ein. Im August erschien das gekaperte Magazin mit altem Namen und Aufmachung – ein Etikettenschwindel.
... einschüchtern, warnen, ...
Ebenfalls über Nacht wurde im Oktober die 2009 gegründete einflussreiche Onlineplattform Gongshiwang (Konsens-Netz) abgeschaltet. Als Forum stand sie Reformern wie Konservativen offen. Nach Onlineberichten wurde auch die couragierte finanzpolitische Zeitschrift Caixin verwarnt.
Die Einschüchterungen und die Ideologieoffensive werden immer offensiver, je näher das ZK-Plenum rückt. Auf der Agenda steht der Umbau der mit 88 Millionen Mitgliedern größten kommunistischen Partei der Welt.
Es ist die letzte ZK-Versammlung vor dem großen Personalkarussell beim 19. Parteitag Ende 2017. Dann muss sich auch der siebenköpfige Politbüroausschuss nach fünf Jahren im Amt Neuwahlen stellen. Nach einer parteiinternen Formel müssen alle abtreten, die das Lebensalter von 68 Jahren überschritten haben. Das trifft auf fünf der sieben Mitglieder der Inneren Führung zu. Nur Parteichef Xi (63) und Premier Li Keqiang (61) dürfen weitere fünf Jahre regieren. Aus dem 25-köpfigen Politbüro werden elf Funktionäre ausscheiden.
Hinter den Kulissen hat das Hauen und Stechen um die Nachfolge begonnen. Das neue Parteibuch Zehn Fehler, die sich Chinas Aufstieg nicht leisten kann relativiert die Altersregel: Es könnte das Amtsalter auch "etwas nach oben, oder etwas nach unten verschoben werden, solange die Regelung für alle gilt – und nicht nur für einen Führer". In Peking wird gemunkelt, dass Xi so seinen Vertrauten Wang Qishan (78), oberster Korruptionsbekämpfer, halten will. Xi will seine Antikorruptionskampagne verschärfen und "institutionalisieren", meldete die Global Times.
... verhaften und verurteilen
Seit Xis Amtsantritt wurden mehr als 50 hohe Funktionäre im Rang von Ministern oder Provinzführern wegen Korruptionsverdacht parteiintern festgesetzt. 28 sind von Gerichten verurteilt worden. Hinzu kommen fast ebenso viele hohe Armeefunktionäre. Betroffen sind auch höchste Parteifunktionäre.
Doch es ist nicht nur Machtkampf: Erst vor wenigen Tagen schrieb die chinesische ZK-Kommission für Disziplin, dass Xi verhindern werde, dass Chinas KP so wie jene der Sowjetunion zugrunde gehen werde: "Diese hatte in ihren frühen Jahren 20.000 Mitglieder und errang damit die Macht. Mit zwei Millionen Mitgliedern schlug sie im Zweiten Weltkrieg die Nazi-Aggressoren. Doch 20 Millionen Mitglieder schützten sie nicht, ihre Macht und sich selbst zu verlieren. Der Grund dafür war, dass sehr viele KP-Mitglieder kein Bewusstsein hatten und ihre Partei nicht in Kopf und Herzen trugen." (Johnny Erling aus Peking, 15.10.2016)