"Herr Gindl, Ihr Auftritt!" Es ist früher Nachmittag im Senioren- und Pflegewohnhaus der Caritas in Graz / Sankt Peter. Im großen offenen Foyer- und Speisebereich liegen große Kugeln aus Ton auf Tischen, wo gerade noch Geschnetzeltes mit Nudeln aus den Tellern dampfte. Herr Gindl, der dem STANDARD eben erzählt hat, wie ihn ein Schlaganfall fast aus dem Leben gekippt hätte, bevor er vor genau "sechs Jahren und vier Monaten" hierher ins Pflegeheim übersiedelte, soll nun kneten.
Ganz abgemagert sei er damals gewesen. Jetzt habe er 20 Kilo mehr und fühle sich gut, schmunzelt der 79-Jährige, der Landwirt und später Arbeiter in den Puchwerken war. Dass er einmal Keramiktiere machen würde, hätte er eher nicht erwartet. Kochen, ja, das habe er gelernt, als die Frau damals zu arbeiten begann, aber töpfern?
Jetzt hat sich Herr Gindl auf Tiere spezialisiert. "Am Anfang war ich noch ein bisserl unsicher, aber jetzt geht das schon gut. Ich hab schon eine Giraffe gemacht, einen Elefanten, ein Nashorn", listet er nicht ohne Stolz einen halben Zoo auf. Das sind nicht eben die Tiere, die man auf einem steirischen Bauernhof finden würde. Herr Gindl sieht aber sehr gerne Tierdokumentationen im Fernsehen, und da bekam er auch seine Inspirationen.
Auswirkungen auf die Gesundheit
Doch genug getratscht. Jetzt muss er zu den anderen. Er setzt sich mit geschlossenen Augen hin und beginnt aus einer auf der Tischmitte liegenden Tonkugel zwei Karotten herauszuziehen. Oder sind es Nasen? Die Kugel wird weitergereicht, und so entsteht im Blindflug ein durchaus interessantes Gemeinschaftswerk. Begleitet von viel Gelächter.
Heute performen Herr Gindl und seine Mitbewohner quasi live vor Publikum, denn finnische und estnische Wissenschafterinnen der Universitäten Helsinki und Tartu sehen den Herren und Damen bei ihrem kreativen Tun zu. Sie sind Netzwerkpartner eines EU-Projektes der Uni Helsinki, das "Handmade Wellbeing" heißt und den Effekt von handwerklich-kreativer Arbeit auf die körperliche und geistige Gesundheit älterer Menschen untersucht.
Hier in Graz ist das Kunstlabor, ein Teil des Kulturvereins uniT an der Grazer Karl-Franzens-Universität, Projektpartner. Das Kunstlabor arbeitet bereits seit zehn Jahren mit "Hochbetagten", wie man die alten Menschen hier lieber nennt, in verschiedenen Seniorenheimen in der Steiermark.
In jenem in St. Peter von Beginn an, erzählt Andrea Fischer, die mit ihren Kolleginnen Edith Draxl und Madeleine Lissy die EU-Partner in Graz begrüßt. "Mit jedem Workshop hinterlassen wir auch Spuren hier im Heim", freut sich Draxl, die auf die fröhlichen Porträts an den Wänden des Saals zeigt, auf denen die Senioren teils in imposanten Kostümen fotografiert sind.
Ein Material für alle
Mari Salovaara von der Uni Helsinki ist Expertin für die Ausbildung von Kunsterziehern und schreibt gerade ihre Doktorarbeit. Sie interessiert hier in Graz, wo diese Woche auch eine Fachtagung zum Thema organisiert und eine Ausstellung mit Arbeiten der Hochbetagten eröffnet wurde, vor allem der Aspekt der älteren Schüler.
"Denn Schüler sind ja traditionell jünger, und man kann ältere Menschen nicht so unterrichten wie junge", erklärt Salovaara, "der Unterschied liegt vor allem darin, dass man den Jungen Fertigkeiten für das Leben beibringen will, während man Älteren vor allem mitgeben will, durch das kreative Arbeiten Selbstermächtigung zu erfahren und sich schlichtweg gut zu fühlen."
Dass kreatives Schaffen tatsächlich einen Einfluss auf das Wohlbefinden gerade älterer Menschen hat, darüber schrieb der Psychiater Gene Cohen schon vor über zehn Jahren erfolgreiche Bücher. Er propagierte seine Theorie, dass das Gehirn nicht weniger leistungsstark, sondern nur anders – eben kreativer – arbeite, wenn man etwa beginnt, Dinge zu vergessen.
Ton sei für solche Arbeiten besonders von Vorteil, so Salovaara, "er eignet sich als Material auch für Menschen, die körperlich nicht mehr ganz fit sind oder etwa nicht mehr fest zupacken können". Ihre Kollegin Helen Kästik von der Uni Tartu erzählt, dass man in Estland sehr viel mit traditioneller Textilkunst arbeite. Hier hätten Ältere auch viel Wissen weiterzugeben, dies und auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, etwa durch Märkte für Kunsthandwerk, erfülle über das kreative Arbeiten hinaus ein wichtiges Bedürfnis.
Welche unglaublich humorvollen, originellen und teils auch verwendbaren Arbeiten – etwa Paravents und Lampenschirme – die steirischen Senioren im Laufe der letzten Monate mit dem Kunstlabor geschaffen haben, kann man in der Ausstellung "Kunst ist Schokolade für das Hirn" in der Galerie Raumbasis in der Schmiedgasse 36 in Graz bis 22. 10. sehen. (Colette M. Schmidt, 15.10.2016)