Die Ergebnisse der Studie zur Wiener Jugendarbeit.

Wien – Starke Sympathien für den Jihadismus hegend, gewaltbejahend und westfeindlich: So wird die "Gruppe der latent gefährdeten" muslimischen Jugendlichen in einer Studie der Stadt Wien beschrieben.

Auf Basis von elf Indikatoren teilte Studienautor Kenan Güngör die Befragten aus der offenen Jugendarbeit – also aus Jugendzentren, Parkbetreuung oder Streetwork – in drei Gruppen ein: jene der "Gefährdeten", jene der "Ambivalenten" und jene der "Gemäßigten". Den 214 muslimischen Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 24 Jahren – 53 Prozent der insgesamt 401 Befragten – wurde etwa die Frage gestellt, ob sich die islamische Welt mit Gewalt gegen den Westen verteidigen müsse. 34 Prozent stimmten dieser Aussage "etwas" oder sogar "ganz" zu. Auch gaben 29 Prozent an, "eher" oder "sehr" positiv Menschen gegenüberzustehen, die für ihre Religion in den Krieg ziehen.

Zur "gefährdeten" Gruppe zählen laut der Studie 27 Prozent der muslimischen Befragten (siehe Grafik). 31 Prozent von ihnen wiederum werden wegen ihrer widersprüchlichen Einstellungen zur Religion als "ambivalent" charakterisiert: Zwar hegen sie leichte Sympathien für extrem religiöse Menschen, das Töten im Namen Gottes lehnen sie jedoch ab. Ein großer Teil der muslimischen Jugendlichen ist laut der Studie "gemäßigt". 42 Prozent lehnen Gewalt ab, sind liberal und kaum bis gar nicht radikalisierungsgefährdet.

Faktoren, die eine Radikalisierung begünstigen würden, seien der Religionsgrad, ein homogener Freundeskreis, die eigene Migrationserfahrung und das Geschlecht. "Radikalisierung ist männlich", sagt Güngör.

Ein weiteres Problem stellen die bereits Radikalisierten dar. "Sie sind eine kleine und gefährliche Gruppe", sagt Güngör. Sie würden von Jugend- und Sozialarbeitern gar nicht mehr erreicht.

Abgrenzung und Provokation

Viele dieser Jugendlichen mit Migrationshintergrund würden sich auf einer Art "Identitätssuche" befinden. Diese würde oft mit einer "Abgrenzung durch Provokation" einhergehen, sagt Wiens Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ). Ihr Ressort hatte die Studie zu den Jugendlichen in der Jugendarbeit vergangenes Jahr in Auftrag gegeben. Die Interviews für die Studie wurden vor der großen Flüchtlingsbewegung 2015 durchgeführt. Die Studie selbst war im Mai 2016 fertig.

Von den Befragten insgesamt haben 85 Prozent einen Migrationshintergrund. 65 Prozent von ihnen gaben an, sich stark bis mittelstark mit Österreich – und dabei am stärksten mit Wien und ihrem eigenen Grätzel – verbunden zu fühlen. "Österreich ist wichtig für Jugendliche mit Migrationshintergrund", sagt die Co-Leiterin der Studie, Caroline Nik Nafs. Allerdings würden viele sich nicht als Österreicher anerkannt fühlen.

Auch zum Herkunftsland der Eltern hätten sie eine Bindung: "Dabei geht es um die Verbundenheit zu den Eltern, es sind ihre Traditionen. Die Familie steht bei den Jugendlichen sehr hoch oben." In puncto Glauben sehen sich laut Studie 45 Prozent als weit weniger religiös als ihre Eltern. Vor allem unter muslimischen Jugendlichen zeigt sich jedoch ein Trend hin zur nach außen getragenen Religiosität. Dahinter stecke vor allem die Identifikation mit der Gruppe.

Rassismus als Problem

Mit der Abgrenzung gegen andere geht auch deren Abwertung einher. Ganz oben steht Rassismus: So haben insgesamt 54 Prozent der Jugendlichen eine negative Einstellung gegenüber einer anderen ethnischen Gruppe. 46 Prozent lehnen Homosexuelle stark ab.

Während unter den befragten katholischen Jugendlichen nur 24 Prozent schwulen- und lesbenfeindlich sind, verdoppelt sich der Anteil bei den christlich-orthodoxen auf 50 Prozent und steigt bei muslimischen Jugendlichen auf 59 Prozent. "Bedenklich hoch" sei mit 47 Prozent auch der Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen. Katholiken sind hier mit sieben Prozent weit gemäßigter.

Allerdings, so Studienleiter Güngör, könne aus den Zahlen aus der offenen Jugendarbeit kein repräsentativer Rückschluss auf die Wiener Jugendlichen an sich gezogen werden, da die Befragten zumeist sozial schwächeren Gruppen angehörten.

Am Sonntag wurde vonseiten der Stadt Wien Kritik zurückgewiesen, dass man die Expertise zurückgehalten habe. Man habe die Ergebnisse vor der Veröffentlichung erst mit allen betroffenen Jugendarbeitern besprechen wollen.

Opposition kritisiert Stadtregierung

Die Wiener Oppositionsparteien ÖVP und FPÖ sehen sich mit den Ergebnissen der Studie in ihrer Kritik an der Stadtregierung bestätigt. "Die Ergebnisse sind leider die logische Konsequenz aus rot-grüner Realitätsverweigerung, konsequentem Wegschauen und blindem Gehorsam", sagte ÖVP-Landesparteichef Gernot Blümel in einer Aussendung.

Er forderte, dass auf Bundesebene der Weg für das von der ÖVP geplante neue Integrationsgesetz freigemacht werden müsse. Dieses sehe "notwendige Maßnahmen gegen Radikalisierung und wesentliche Notwendigkeiten wie etwa das Verbot der Vollverschleierung, die gemeinnützigen Tätigkeiten oder das Verbot von Koranverteilungen" vor. Zudem verlangte Blümel erneut, an Schulen eine "Werteformel" einzuführen und Wertevermittlung in den Mittelpunkt zu stellen.

FPÖ sieht "fanatische Jihadisten"

Maximilian Krauss, Bildungs- und Integrationssprecher der Wiener FPÖ, sah die Integrationsbemühungen von Rot-Grün "endgültig gescheitert". "Anstatt wenigstens die zweite Generation irgendwann einmal zu integrieren, ziehen wir uns hier eine neue Generation teilweise fanatischer Jihadisten heran, die uns und unsere Kultur weder akzeptieren noch respektieren." Krauss forderte "eine Ablöse Frauenbergers durch jemanden, der das Thema Integration ernst nimmt".

Krauss hatte bereits 2014 "Ausländerklassen" gefordert, zuletzt trat er mehrmals für ein Kopftuchverbot an Schulen, verpflichtende Deutschtests vor Schuleintritt oder Deutschpflicht in Schulpausen ein.

SPÖ verweist auf Deradikalisierung

SPÖ-Gemeinderätin Tanja Wehsely führte das Netzwerk für Deradikalisierung und Prävention ins Treffen, das von der Stadt Wien 2014 eingerichtet wurde. Seither seien tausende Pädagogen aus allen Bereichen der Stadt geschult worden. Die jüngste Studie zeige, dass vor allem für muslimische Jugendliche die Religion immer stärker ein Abgrenzungsmerkmal gegenüber anderen werde. Jugendlichen müsste ein Rüstzeug in die Hand gegeben werden, um sich "gegen die Vereinnahmung durch Radikale zu wehren". In die Pflicht nahm Wehsely auch Schule und Eltern. (Oona Kroisleitner, 16.10.2016)