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Was macht uns zum Cyborg?

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Mark Coeckelbergh forscht über neue Technologien und ethische Fragen in diesem Zusammenhang.

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Warum wir keine technischen Implementierungen in unseren Körpern besitzen müssen, um als Cyborgs zu gelten, erklärt Mark Coeckelbergh, Professor am Institut für Philosophie. In der "Semesterfrage", die die Universität Wien gemeinsam mit derStandard.at stellt, geht er auf Fragen der Poster ein, die im Eingangsartikel "Digitale Zukunft: Sind wir bereits Cyborgs?" gestellt wurden.

Mark Coeckelbergh: Ich stimme dem zu. Viele sind äußerst abhängig von ihren Handys. Smartphones und Apps sollen süchtig machen. Wir sollten darauf achten, dass sie nicht alles übernehmen, sodass wir unserer Familie, den Freunden und unserer Umgebung auch noch genug Aufmerksamkeit schenken.

Durch die Verwendung des Begriffs "Cyborg" wollte ich die enge Verbindung zwischen uns und der Technologie sowie dem Internet zum Ausdruck bringen. Es kann gut sein, dass die Mehrheit von uns keine mechanischen oder elektronischen Teile in ihrem Körper hat. Sind wir in unserem Leben und unserem Verwendungsverhalten jedoch so eng mit unseren Geräten verbunden, dann sind sie gewissermaßen ein Teil von uns geworden. Um das zu verstehen, ist die Unterscheidung zwischen Technik in unserem Körper und außerhalb unseres Körpers nicht wirklich relevant.

Coeckelbergh: Ja, soziale Medien erwecken den Eindruck, dass wir alle unsere eigene Meinung haben können. Oftmals führt das jedoch zu Konformismus und bestärkt dadurch den Mainstream, anstatt einen Beitrag zum kritischen Denken zu leisten. Sie ermutigen uns dazu, unserer Meinung Ausdruck zu verleihen. Allerdings ist kritisches Denken und eine eigene Meinung zu haben nicht dasselbe. Inhaltsvolle Diskussionen und kritisches Denken können grundsätzlich auch im Internet vonstatten gehen. Es gibt allerdings eine wichtige Voraussetzung dafür: Wir müssen kritisches Denken bereits durch die Erziehung und im Unterricht erlernen, z. B. in der Schule, an der Universität und in soziokulturellen Organisationen, aber auch andernorts, wo es mehr Zeit und eine fruchtbarere Umgebung für kritisches Denken und Diskussionen sowie zum Erlernen der Demokratie gibt. Demokratie ist nicht nur auf das Wählen beschränkt. Soziale Medien bergen auch die Gefahr, dass wir nur mit jenen Menschen sprechen, die genauso denken wie wir. Das führt wiederum zu Konformismus und einer Art Tunnelblick. Alle Bürger, Politiker eingeschlossen, sollten gelegentlich heraustreten, ihre Komfortzone verlassen und auch einmal mit Menschen sprechen, mit denen sie sonst nicht sprechen würden. Dieses Problem gab es schon vor dem Internet und den sozialen Medien. Wir müssen achtgeben, dass soziale Medien zu mehr und nicht zu weniger Offenheit führen.

Coeckelbergh: Es stimmt, dass es Automatisierungstechnik schon länger gibt. Im Artikel beziehe ich mich darauf, dass ihre Entwicklung derzeit angekurbelt wird. Im Unterschied zu früher werden diese Technologien nicht mehr ausschließlich in der Industrie eingesetzt, sondern sind Teil unseres Alltags geworden. Manchmal fällt es uns nicht auf, da es schrittweise geschieht. Sollte es einen Durchbruch in der künstlichen Intelligenz überhaupt geben, dann wird sich dieser beispielsweise nicht in Form eines Roboters oder monströsen Computersystems zeigen, wie es uns Science-Fiction glaubhaft machen mag – sie wird ihre Arbeit in Form eines Programms oder einer App auf unserem Smartphone und anderen Geräten verrichten.

Zu den selbstfahrenden Autos: So weit ich weiß, folgen sie heute einem Programm, richtig. Die Frage hierbei ist, ob wir Programmen die Möglichkeit geben sollen, Entscheidungen zu treffen, anstatt diese Menschen zu überlassen.

Coeckelbergh: Das ist ein guter Kommentar. Ja, wir sind mit Tieren im Zoo vergleichbar, wir haben Tiere und uns selbst gezähmt. Wir leben in einer kontrollierten Umwelt: von Regeln und Technologien kontrolliert. Wir haben Technologien und Infrastruktur für unsere Betreuung und Sicherheit erschaffen, aber wie ich in meinem Buch erkläre, macht uns das sehr verwundbar und abhängig. Das war schon immer so. Wir haben immer schon Technologie eingesetzt, nur heute sieht es so aus, als ob wir auf eine Situation der Hyperabhängigkeit zusteuern. Das kann man mit Metaphern wie jener des Zoos beschreiben – Sloterdijk verwendet diese Metapher ebenfalls – oder mit jener des ungeborenen Kindes, das vollkommen von der Mutter abhängig ist. Wir leben im Mutterleib des technologischen Systems, das uns mit seinen Datenströmen nährt und uns schützt. Trotzdem sollten wir vorsichtig mit derartigen Denkansätzen und derartigen Metaphern sein, da es nicht zutrifft, dass wir nichts ändern können. "Das System" sind auch wir. Es existiert nicht getrennt von uns.

Coeckelbergh: Das sehe ich nicht so. Nehmen wir die maschinelle Technologie im 19. Jahrhundert: Sie veranlasste – und veranlasst uns immer noch – über den Menschen nachzudenken. Sind wir Maschinen oder nicht? Unsere Anthropologie ist zu einer "maschinellen Anthropologie", zum "maschinellen Denken" geworden. In den Geisteswissenschaften findet man häufig, was ich als negative Anthropologie bezeichne: Wir betonen, dass wir keine Maschinen sind. Das zeigt allerdings auch, wie wichtig Maschinen geworden sind: Wir definieren uns selbst, indem wir uns zu ihnen in Beziehung setzen. Wir müssen das so machen. Deshalb ist Technologie nicht nur ein reines Werkzeug, sondern sie beeinflusst unser Denken. (Mark Coeckelbergh, 20.10.2016)