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Beim Angriff von Islamisten auf die Bibliothek wurden viele Schriften zerstört. Noch viel mehr wurden allerdings in einer geheimen Aktion in Sicherheit gebracht.

Foto: AP / Ahmed Baba Institute

Wien – Im Sommer 2012 war das kulturelle Gedächtnis Afrikas in akuter Gefahr. Mehr als 100.000 Bücher und Manuskripte, teils Jahrhunderte alt, waren von der völligen Zerstörung bedroht, als Islamisten die malische Stadt Timbuktu eroberten. Sie zerstörten Kulturgüter, die ihrer strengen Auslegung des Islam nach der Anbetung von Götzen dienten. Dazu gehören auch die Schriften, die sich – großteils in arabischer Schrift – Themen wie guter Regierung, Menschenrechten und der Auslegung des Islam widmen.

Die Sammlungen, die sich großteils in der Hand von Familien befinden, gelten als einzigartiges Zeugnis früher afrikanischer Wissenskultur. Bemühungen zu einer Katalogisierung sind noch nicht abgeschlossen, die Digitalisierung steht am Anfang. Rund 5000 Manuskripte aber wurden von Islamisten kurz vor deren Niederlage verbrannt. Der Großteil aber wurde in einer geheimen Aktion, versteckt in Metallkisten, von Timbuktu in die Hauptstadt Bamako geschmuggelt. Die Geheimmission wurde vom Chef der Mamma-Haidara-Stiftung, Abdel Kader Haïdara, geleitet. Er erzählte dem STANDARD über seine Erfahrungen.

STANDARD: Als Islamisten 2012 Timbuktu überrannten und Kulturgüter zerstörten, haben internationale Organisationen vor Angriffen auf die tausenden jahrhunderte alten Manuskripte gewarnt. Sie wollten sie im Geheimen in Sicherheit bringen. Hatte die Aufmerksamkeit auch Nachteile?

Haïdara: Auf jeden Fall. Der französische Sender TV5 hat über eine Unesco-Deklaration zum Schutz der Manuskripte berichtet, während wir die geheime Evakuierung vorbereitet haben. Das hat uns gebremst. Ich habe dann selbst die Unesco angerufen. Anfangs haben sie mich nicht verstanden. Dann haben sie aber öffentlich nicht mehr darüber gesprochen – dafür telefonierten wir täglich.

STANDARD: Es war sicher für viele Familien, die die Manuskripte seit Jahrhunderten besitzen, schwierig, diese plötzlich nach Bamako bringen zu lassen.

Haïdara: Ja, klar. Aber zum Glück war schon davor Vertrauen da. Wir hatten ja gezeigt, dass es wichtig ist, dass auf die Schriften aufgepasst wird.

STANDARD: Hat der Staat die Gefahr richtig eingeschätzt?

Haïdara: Wir haben uns mit den zuständigen Ministerien getroffen. Aber man kann sagen, es gab zu der Zeit keinen Staat mehr. Sie haben uns gesagt, sie können zwar nichts machen, aber sie schätzten unsere Arbeit.

STANDARD: Die Bibliotheken von Timbuktu sind auch deshalb speziell, weil viel in privater Hand ist. Sie leiten die private Mamma-Haïdara-Bibliothek. Wie war vor der Krise die Zusammenarbeit mit der staatlichen Bibliothek?

Haïdara: Ich kenne die staatliche Bibliothek jedenfalls sehr gut. Ich habe 15 Jahre dort gearbeitet. In dieser Zeit habe ich andere Familien kennengelernt, die Manuskripte besitzen. Dabei habe ich ihr Vertrauen gewonnen und sie von der Notwendigkeit der Konservierung überzeugt. Es gab sehr viele Familien, die ihre Manuskripte nicht einfach dem Staat übergeben wollten. Sie wollen über ihr Schicksal bestimmen können. Auch meine Familie.

STANDARD: Hat es geholfen, dass die Bibliothek schon dezentral und auf mehrere Familien aufgeteilt war?

Haïdara: Auf jeden Fall. Wir haben die Bücher in Timbuktu selbst verteilt. Andere haben wir aus der Bibliothek in die Mensa gebracht, in der Hoffnung, dass sie dort keiner sucht. Als die Evakuierung begann, haben wir 27 Familien in Bamako kontaktiert, denen wir vertrauten.

STANDARD: Die Manuskripte sind jetzt in Bamako. Sind sie dort sicher – und wie sieht es mit einer Rückkehr nach Timbuktu aus?

Haïdara: Es ist mir wichtig, dass die Manuskripte nur wegen des Krieges in Bamako sind. Derzeit geht es um die Reparatur der Bibliothek in Timbuktu. Und die Schriften sollen in einer Datenbank landen. Ziel ist, dass wir sie zurückbringen können.

STANDARD: Unter den zahlreichen Manuskripten in Ihrem eigenen Besitz – haben Sie ein Lieblingsbuch?

Haïdara: Ja: Es ist eine Schrift über Menschenrechte, die mit sehr guten Methoden arbeitet. Es geht um eine Frau, die Mutter wird. Zuerst wird sie beschrieben und dann in allen Details ihre Rechte. Danach geht es um die Geburt, um alle Details der Rechte der Mutter und des Kindes. Dann wächst das Kind auf – plötzlich schildert die Schrift Menschenrechte im Allgemeinen.

STANDARD: Wie alt ist die Schrift?

Haïdara: Sie stammt aus dem 18. Jahrhundert. Das hat mich sehr beeindruckt. Denn auch ich wusste vorher nicht, dass es aus Afrika aus dieser Zeit Manuskripte gibt, in denen die Idee der Menschenrechte behandelt wurde. (Manuel Escher, 18.10.2016)