Das Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten, die gegen den "Akademikerball" der FPÖ protestieren, bliebt umstritten.

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Wien – Demonstranten an der Weiterreise zu hindern, um ihre Identitäten festzustellen, auch wenn kein konkreter Verdacht vorliegt, dass sie etwas Strafbares im Sinn haben – das darf die Polizei nicht, wie ein Anfang September ergangenes Gerichtsurteil besagt.

Ein Reisebus mit rund 50 Grazer Aktivisten, die am 29. Jänner 2016 in Wien gegen den FPÖ-Burschenschafterball (Akademikerball) demonstrieren wollten, waren in der Nähe des Wiener Naschmarkts von der Polizei aufgehalten und rund 40 Minuten lang an der Weiterreise gehindert worden. Die 15 bis 20 Beamten wollten Ausweise und Rücksäcke der Aktivisten kontrollieren. Einen konkreten Verdacht, der eine solche Identitätskontrolle rechtfertigen würde, konnten sie nicht angeben.

Stille-Post-Prinzip

Im Verfahren rechtfertigte sich die Polizei damit, dass Grazer Verfassungsschutzbeamte die Wiener Polizei quasi vorgewarnt hätten: Es gebe da eine Gruppe möglicherweise gewaltbereiter Aktivisten, die sich auf den Weg nach Wien gemacht habe. Das Gefahrenpotenzial der Demonstranten beschrieben die Grazer Beamten so: Die Aktivisten seien überwiegend schwarz gekleidet, manche hätten Transparente dabei, deren Aufschrift nicht erkennbar war.

Die Wiener Kollegen nahmen den Hinweis auf und gaben ihn wiederum an eine Einsatzgruppe weiter, mit dem Auftrag, den Bus auf Wiener Stadtgebiet aufzuhalten. In einer Art Stille-Post-Prinzip wurde die Information der Grazer Kollegen modifiziert: Nun war bereits von "prall gefüllten" Rucksäcken die Rede, in denen "möglicherweise gefährliche Gegenstände" stecken würden. Die Beamten vor Ort taten wie ihnen geheißen und stoppten den Bus. Und sie handelten rechtswidrig, wie das Verwaltungsgericht Wien am 9. September entschied.

Einer der Demonstranten, Tristan Ammerer, hatte Maßnahmenbeschwerde gegen die Amtshandlung erhoben. Er habe sich durch die Polizeikontrolle "unter Generalverdacht gestellt gefühlt", obwohl er nur an einer Demonstration teilnehmen wollte, sagt Ammerer.

Das Gericht gab ihm recht: Die Wahrnehmungen der Grazer Beamten seien jedenfalls keine ausreichende Grundlage, um einen Bus aufzuhalten und Ausweise zu kontrollieren.

Laut dessen Rechtsanwalt Clemens Lahner hat das Urteil eine Bedeutung, die über den Anlassfall hinausgeht: Die Polizei dürfe Ausweiskontrollen im Zuge der Gefahrenabwehr gemäß Sicherheitspolizeigesetz grundsätzlich nur dann vornehmen, wenn es für eine etwaige Gewaltbereitschaft auch wirklich konkrete Anhaltspunkte gibt. Und die konnte nicht einmal jener Wiener Polizist feststellen, der den Bus aus Graz aufhielt: Dieser, so heißt es in der Gegenschrift der Polizei, stellte "keine Gruppenbildung der Businsassen im Sinne eines 'Schwarzen Blocks' fest und er wurde auch von niemandem im Bus beschimpft. Die mitgeführten Rucksäcke waren, soweit für ihn einsehbar, mit Reiseproviant und normaler Kleidung gefüllt." Der Einsatzleiter sah von einer Identitätskontrolle ab und ließ den Bus weiterfahren, entschied aber dennoch, den Bus vom Naschmarkt bis zum Rathaus von zwei Polizeibussen begleiten zu lassen.

Polizei muss zahlen

Aus Sicht des Gerichts war klar, dass es sich im konkreten Fall nicht um eine Fahrzeug- oder Lenkerkontrolle handelte – eine solche wäre auch unabhängig von Verdachtsmomenten zulässig gewesen. Der Polizei sei es auch nicht darum gegangen, im Zuge des Einsatzes Ausschreitungen zu verhindern. Die Kontrolle zielte demnach allein darauf ab, die Identitäten der Reisenden festzustellen – und dafür habe den Beamten die notwendige gesetzliche Grundlage gefehlt.

Die Wiener Polizei muss Ammerer, der von der Rechtshilfe Graz unterstützt wurde, nun einen Aufwandsersatz in Höhe von 1660 Euro leisten. (Maria Sterkl, 18.10.2016)