Wirtschaftsminister Mitterlehner (links) ist sich mit seinem deutschen Amtskollegen Gabriel einig, allein Belgien sperrt sich (noch) gegen die Finalisierung von Ceta.

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Nicht selten wird der EU und den Entscheidungszentren in Brüssel, Straßburg und Luxemburg vorgeworfen, sie würden über Mitgliedsstaaten "drüberfahren", Wünsche der Bürger in den Regionen ignorieren. Zuweilen läuft es umgekehrt. Das Sondertreffen der EU-Handelsminister am Dienstag in Luxemburg könnte als Paradebeispiel in die Geschichte eingehen, wie komplex eine Entscheidungsfindung aufgrund der weitverzweigten Mitsprache der unteren Ebenen ist, auch bei Fällen von globaler Tragweite.

Es gab nur ein Thema: Ceta, das Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und Kanada. Der Rat wurde vor vier Wochen beim Treffen in Bratislava extra angesetzt, weil die zuständigen Handelsminister es sich nicht nehmen lassen wollten, den "Vertrag modernen Typs" sieben Jahre nach dem Start der Gespräche 2009 persönlich abzuschließen.

Aus Abstimmung wurde nichts

Daraus wurde nichts. "Wir waren eigentlich darauf eingestellt, dass die Sache in zwei Stunden erledigt ist", sagte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, als er sich zu Beginn seiner Pressekonferenz in Luxemburg bei den Journalisten für das lange Warten entschuldigt. Bis zum Ende der Sitzung hatte es mehr als fünf Stunden gebraucht. Das Ergebnis war dennoch eine Enttäuschung, wie man dem Deutschen Sigmar Gabriel ansehen konnte: Zwar waren sich die Vertreter von 27 Staaten einig, dass der gesamte Vertragstext mitsamt den Zusatzerklärungen, die die letzten Einwände einzelner Länder berücksichtigten, akzeptabel sei. Aber Belgien sagte Nein.

Es kam nicht zur Abstimmung. Für die grundsätzliche Annahme von Ceta als "gemischtes Abkommen" (das in nationale Kompetenzen eingreift) wäre im Rat Einstimmigkeit erforderlich gewesen. Damit entfiel auch eine zweite Abstimmung zur vorläufigen Anwendung des Handelsteils des Pakts ab Anfang 2017. Der belgische Außenminister Didier Reynders sagte seinen Kollegen, dass sein Land noch nicht bereit sei zuzustimmen, weil die wallonische Regionalregierung ihm dazu nicht die Ermächtigung erteilt habe.

Neuer Anlauf bei Gipfeltreffen

Nun soll die Entscheidung bezüglich Ceta auf der höchsten politischen Ebene fallen. Donnerstag und Freitag findet ohnehin der reguläre EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel statt.

Im Hintergrund laufen seit Tagen intensive Gespräche zwischen der EU-Kommission und den belgischen Stellen, um die Wallonen mit Zusatzerklärungen und -garantien zu Ceta doch noch an Bord zu holen. Trotz allem zeigte sich Reynders optimistisch. Regionalpremier Paul Magnette (SP) wünscht sich, dass NGOs bei Schiedsgerichten Parteistellung bekommen. Neben inhaltlichen Bedenken der wallonischen Sozialisten gilt es, eine parteipolitische Auseinandersetzung zu klären. Die Zentralregierung unter Premier Charles Michel besteht aus einer Koalition von Liberalen mit nationalen Regionalisten (N-VA) und Christdemokraten in Flandern. Die Wallonen wollen mehr Budget und Kompetenz.

In Luxemburg rechnete man damit, dass es bis zum Wochenende einen Kompromiss geben könnte, um Ceta den Weg zu ebnen. Davon hängt auch ab, ob der kanadische Premier Justin Trudeau nächste Woche zum EU-Kanada-Gipfel kommen wird.

Rumänen, Bulgaren taktieren

Neben Belgien haben auch noch Rumänien und Bulgarien Einwände: Sie wollen Visaerleichterung, was aber mit Ceta wenig zu tun hat. Deutschland setzte am Dienstag eine rechtsverbindliche Erklärung durch, in der die Bedingungen des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zur vorläufigen Anwendung von Ceta festgeschrieben sind. Sollte es im Zuge der Ratifizierung im Parlament verfassungsrechtliche Probleme geben, kann jedes Land die Ceta-Anwendung aufheben, auch Österreich. (Thomas Mayer aus Luxemburg, 18.10.2016)