Russisches Roulette und Liebe zur Gefahr: Christopher Walken in seinem Oscar-gekrönten Part in "The Deer Hunter" und ...


Foto: Viennale

... als Hochstapler in "Catch me if you can".

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Als Spike Jonze für sein entfesseltes Musikvideo zu Fatboy Slims Weapon of Choice (2001) Christopher Walken dafür gewinnen wollte, als stummer Geschäftsmann an Drahtseilen durch eine Hotellobby zu fliegen, erlebte er selbst, wie sehr der Akteur und seine Maske zusammenfallen können. Das Gespräch war freundlich, aber Jonze blieb lange unsicher: "Er war auf jeden Fall kaum einzuschätzen. Man versteht seine Intonation so schwer – als ob er auf einem anderen Planeten gelernt hat, Englisch zu sprechen."

Ein Mann, der eine bekannte Sprache auf ganz unvertraute Weise spricht. Das passt auf Walken besser als jede andere Beschreibung. Seinen Planeten aber findet man nicht extraterrestrisch, sondern in uns – im Orbit unserer verdrängten Lüste und Ängste.

Es gibt kaum einen Starschauspieler im amerikanischen Gegenwartskino, der in seinen Rollen komplexere und vielfältigere Gefühle ausstellen kann, als Christopher Walken (73). Er ist die passende Ikone für ein Zeitalter der unaufgelösten Widersprüche, ein Spiegel unserer eigenen Doppelbödigkeit. Wie ein Gespenst lebt er in den Filmen Hollywoods. In Pulp Fiction erscheint er als Bote aus einer anal-sadistischen Vergangenheit, Captain Coons, der einem Jungen die im Enddarm über die Zeit gerettete Uhr seines Vaters überbringt.

Als Consigliere eines Mafiapaten betritt er True Romance mit einem Folterversprechen auf den Lippen, das einen Mann zum Verrat an seinem Sohn bewegen soll. Er steigt nachts, "hair up high", als Haftentlassener in die New Yorker U-Bahn und als stylisher Drogenfürst, als King of New York, wieder aus.

Er ist der Vampirfürst in The Addiction, der eine blutsüchtige Studentin mit depressivem Existenzialismus quält, bevor er sie selbst mitleidlos aussaugt; silberhaariger Batman-Bösewicht (Batman Returns) und Hochstaplervorbild (Catch Me If You Can).

Kondensierte Monologe

Was andere Akteure mit ungleich mehr Raum zu entwickeln versuchen, kann Walken in nur einen Monolog kondensieren. Seitdem der Bäckerssohn aus Queens, New York, als Kinderakteur Ronnie Walken im Livefernsehen der 1950er-Jahre seine ersten Auftritte hatte (einen davon gar an der Seite von Jerry Lewis und Dean Martin), führt er seine besonderen Tänze auf Bühnen und Filmsets auf.

Trainiert fürs Musical, machte er nach seinem Wechsel zum Kino als lebensmüder Autofahrer in Woody Allens Annie Hall auf sich aufmerksam, bevor er sich aus dem Vietnamkriegsdrama The Deer Hunter beim russischen Roulette herausschoss. Die Kugel, die durch den Kopf dieses Veteranen rast, brachte seinerzeit viel durcheinander. Die Berlinale zuerst, auf der der Film 1978 Premiere hatte und die Ostblockdelegationen, aber auch westliche Skeptiker mit seinem Vietnam-Bild provozierte.

Der Oscar, den Walken für The Deer Hunter danach bekam, katapultierte ihn in eine neue Liga, in der er frei sein neues Rollenbild entwickeln konnte. Das Projektil schien mitten durch sein eigenes System gegangen zu sein, quer durch alle Barrieren, und hinter ihm zog ein irritierender Wirbel seine Spur. Seitdem gibt Walken auf die universale Frage, wie viel Sinn man in einem einzigen Satz unterbringen kann, immer neue, performative Antworten: mit diesem fast unmerklichen Zögern, der heiser kippenden Stimme, dem Wetterleuchten der Gefühle, das für Bruchteile einer Sekunde über sein Gesicht ziehen kann.

Es sind fast mythische Verheißung von Gefahr und von Lust, die er aber selbst wieder ironisch bricht, etwa als regulärer Gast in der Comedy-Show Saturday Night Live. Legendär sind seine Auftritte als Musikmanager im viralen SNL-Sketch More Cowbell! oder als Ed Glosser – Trivial Psychic, worin er Cronenbergs Dead Zone (1983) persiflierte.

Vielleicht hat er in Dead Zone tatsächlich seine unheimlichste Rolle gespielt: einen Propheten, der als Einziger sieht, dass der populistische US-Präsidentschaftskandidat die Welt in ein nukleares Armageddon stürzen wird, wenn er ihn nicht aufhält.

Walkens Auftritte verlieren ihre Brisanz auch nach Jahrzehnten nicht. (Robert Weixlbaumer, 20.10.2016)