Wien – Das Zugunglück in Brixen am 6. Juni 2012 mit zwei Verletzten hat ein gerichtliches Nachspiel. Die Staatsanwaltschaft Bozen erhebt Anklage gegen fünf Personen, darunter drei damalige Manager der ÖBB-Werkstättentochter Technische Services (TS) und zwei Manager des slowakischen Eisenbahnwerks ZOS Trnava, mit dem ÖBB-TS seit Jahren ein Joint Venture zur Instandhaltung von Rollmaterial für den Güterverkehr betreibt.
Die Bozener Anklagebehörde wirft den fünf Beschuldigten fahrlässiges Auslösen eines Zugunglücks vor, das durch ein Zusammenspiel aus "Unvorsichtigkeit, Untüchtigkeit sowie Nichtbeachtung von Verordnungen, Gesetzen und Regeln" entstanden sei, zitiert die "Neue Südtiroler Tageszeitung" aus der Anklageschrift.
Räder lösten sich
Laut einem von der Staatsanwaltschaft beauftragten technischen Gutachten haben sich die Räder des ersten Waggons hinter der Lokomotive von der Achse gelöst, weil sie bei der Wartung nicht mit dem notwendigen Druck aufgepresst worden waren. Aufgrund der großen Bremshitze bei der Abfahrt vom Brenner-Pass hätten sie sich dann nach hinten geschoben und der Zug entgleiste.
Zur Erinnerung: Eine lose Radscheibe eines Güterwagens der ÖBB-Gütersparte RCA hatte im November 2012 bereits die ÖBB-eigene Untersuchungskommission als Unfallursache identifiziert – der STANDARD berichtete. Laut dem ÖBB-Ergebnisprotokoll vom Oktober 2012 hatte sich das Unglück richtiggehend angebahnt: In Innsbruck wurden Spuren einer verschobenen Radscheibe gefunden, die sich bis Franzensfeste, also zehn Kilometer vor Brixen, auf 22 Millimeter verdoppelt hatte. Dort wurden zudem deformierte Radlenker festgestellt, die auf eine verschobene Radscheibe schließen ließen.
Einreiseverbot
Die Folgen waren schwerwiegend: Die italienische Eisenbahnsicherheitsbehörde ANSF verhängte für 2000 ÖBB-Güterwagen ein vorübergehendes Einreiseverbot, insgesamt 6897 bei der ZOS Trnava Group servicierte Radsätze mussten überprüft und teils getauscht werden. Die Kosten – allein auf 2,2 Millionen Euro wurden die Ausbesserungsarbeiten taxiert – wollten sich ZOS und ÖBB teilen. Noch offen ist laut ÖBB-Insidern bis heute, wer für die doch massiven Schäden an der Bahninfrastruktur in Brixen aufkommt.
Beim Landesgericht Bozen und der Staatsanwaltschaft war am Mittwoch keine Stellungnahme zu dem am Montag eröffneten Vorverfahren zu erhalten. Dem Vernehmen nach wurde ÖBB und ZOS Trnava im Zivilverfahren eine außergerichtliche Streitbeilegung angeboten. Eine solche setze aber Schuldeinsicht und Einvernehmen voraus, welches zwischen den langjährigen Geschäftspartnern freilich nicht mehr vorhanden sei. Außerdem fürchte einer der Beschuldigten, ein TS-Angestellter mit Alteisenbahner-Dienstvertrag, daraus disziplinarrechtliche Konsequenzen, etwa für seinen Pensionsanspruch.
Wann die am Montag unterbrochene Vorverhandlung im Strafverfahren fortgesetzt wird, ist offen. Einige Wochen wird allein die Übersetzung der Gerichtsakten ins Deutsche dauern, bis dahin hat Untersuchungsrichter am Gericht der Vorverhandlung, Emilio Schönsberg, vertagt. (Luise Ungerboeck, 20.10.2016)