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In Krisenzeiten (also eigentlich immer) haben professionelle Wahrsager Hochkonjunktur auf dem Balkan. Kommt vielleicht in Teil 2 zur Sprache.

Foto: ap

Ich bin zu keiner Zeit so schön, dass mir griechische Götter nachstellen und mir die Gabe der Hellseherei zusammen mit dem Fluch des Unglaubens bescheren. Manchmal ergeht es mir trotzdem wie Kassandra. Besonders als der Krieg das Denken der Menschen verwüstet.

Im Schatten des Krieges

Es ist schon lange her. An einem Regentag im September 1989 sitze ich einer Freundin aus Beograd gegenüber. In einer wunderbaren Wohnung in Wien-Landstraße. Sie ist von Slobodan Milošević begeistert. Ich sage: "Pass bloß auf, der wird Jugoslawien ärger verwüsten als der Švabo!" Der Abschied ist kühl. Wir begegnen einander nie wieder. Jugoslawien wird arg verwüstet.

Später, als der Krieg keine Worthülse mehr ist, weil der Balkan akut brennt, gerate ich oft an Menschen, die eine Art Rauchgasvergiftung von diesem Brand bekommen.

Dafina, Mutter Serbiens

Ich gebrauche nur ein uraltes Prinzip der Skeptiker: "Wenn etwas zu schön ist, um wahr zu sein ..." Und diesen Spruch sage ich auch meinem Freund aus Kindertagen, Srđan. Es ist der Winter 1992, und wir sitzen in der Wohnung in Novi Beograd, die sein Opa, ein Partisan aus der Herzegowina, einst als Anerkennung für all die Nächte im Wald bekommt. Wie alle pensionierten Partisanen. Anders als sein Opa im Zweiten Weltkrieg hält sich Srđan aus diesem Krieg heraus. Aber der Krieg kommt zu ihm. In Gestalt einer schweinsbackigen Betrügerin: Dafina Milanović.

Viel später werden Srđan und ich und ganz Serbien erfahren, dass die "Mutter Serbiens" nur die hohle Puppe des Regimes ist und dass Milošević mithilfe ihrer "Dafiment banka" die Bürger Serbiens um ihre "Matratzen-Devisen" und sonstige letzte Ersparnisse bringt. Leider mit großem Erfolg. Doch damals, in der Wohnung des alten Partisanen, sind Srđan und ich nur Freunde aus Kindertagen, deren einer den anderen um Rat fragt. Und Dafinas Räuberbank ist seit Wochen das Tagesgespräch aller Serben, die hoffen, ihr Erspartes schnell zu mehren, bevor noch schlechtere Zeiten kommen.

Im TV läuft der Werbespot der "Dafiment banka" fast im Stundentakt, in jeder Nachrichtensendung gibt es ein Interview mit Dafina. Immer sind mehrere dankbare Serben dabei, die soeben ihr um 15 Prozent (und mehr) vermehrtes Erspartes grinsend am Schalter abheben und mit Geldbündeln in ihren Händen aus dem Kader gehen. Auch Srđans Augen sind glasig vom Blick auf 15 Prozent Zinsen (und mehr), die von der Bank versprochen werden.

Mein skeptischer Spruch von den Dingen, die zu schön sind, um wahr zu sein, zeigt keine Wirkung. Gegen die Propaganda eines Regimes bin ich genauso erfolgreich wie Don Quijote gegen eine Windmühle. Nicht einmal kalte Logik hilft: "Mein Freund! Schalte dein Gehirn ein! Krieg, Inflation, Embargo, kaputte Wirtschaft, Armut – und die depperte Dafina will dir 15 Prozent Zinsen geben?!"

Jemand prägt später den Ausdruck "Pyramidenbank", weil die "Dafiment banka" genau wie ein beliebiges Pyramidenspiel funktioniert, nur ohne dass man teure Seminare besuchen muss. Was auf eine bösartige Weise genial ist: Die zu betrügenden Mitspieler tragen einfach ohne Umweg und Zeitverschwendung ihr Geld zum Betrüger und drücken es ihm in die Hand.

Auch Srđan.

Von Freunden und Feinden

Im Sommer des Jahres 1992 sitze ich am Strand der Bucht von Majakovac in Sutivan auf der Insel Brač. Hier ist es ruhig, und der Krieg scheint fern. Doch in Gestalt eines Rekrutierungsoffiziers der bosnischen Regierungsarmee (ArBiH) sitzt der Krieg genau neben mir. Und der Strand ist menschenleer, weil Krieg ist. Die Sonne brennt, wir sitzen auf Badetüchern und haben nur Badehosen an. Was unser Gespräch noch ein wenig absurder macht.

Der Offizier heißt Faruk und ist im Zivilberuf ein Diplomingenieur für Hochbau. Nach Sutivan bringt ihn ein militärischer Auftrag: Er soll im hiesigen Flüchtlingslager für Bosnier – das im Pinienwald, nur 100 Meter hinter uns, ist – unter den muslimischen Flüchtlingen Freiwillige für die Armee der bosnischen Regierung rekrutieren. Die Katholiken unter den bosnischen Flüchtlingen sind hingegen die Domäne seines Kollegen vom "Kroatischen Verteidigungsrat" (Hrvatsko Vijeće Obrane, HVO). Das ist die Armee der bosnischen Kroaten.

Ich weiß! Es scheint etwas kompliziert zu sein – aber es ist einfach: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Daher sitzen in dieser Szene ein Austro-Serbo-Kroate und ein bosnisch-muslimischer Armeeoffizier in Kroatien am Strand, während der bosnisch-kroatische Armeeoffizier noch nicht am Strand eingetroffen ist. Alles klar?

Faruk ist überzeugt, dass das Bündnis zwischen bosnischen katholischen Kroaten und bosnischen Muslimen gegen die bosnischen serbisch-orthodoxen Serben ein Bündnis ist, das natürlich sei. Und in Anbetracht der Geschichte seit dem Amselfeld auch logisch. Üblicherweise ist das Nennen des Amselfeldes im Jargon serbischer Patridioten zu finden. Und üblicherweise ist die Schlacht auf dem Amselfeld 1389 nicht nur fern und unbedeutend, sondern auch kein Argument für oder gegen etwas. Außer man ist ein Idiot.

Was der bosnisch-kroatische Offizier dazu zu sagen hat, erfahre ich nie, weil er heute mit argem Sonnenbrand in seinem Zimmer liegen bleibt. Am Ende des Plauderns zwischen mir und Faruk sage ich nur: "Alles Gute Ihnen! Aber bitte vergessen Sie nicht, dass im Krieg die Freunde von heute oft die Feinde von morgen sind." Faruk antwortet mit einem freundlichen Auflachen und winkt zum Abschied.

Nur wenige Monate später sind im Hexenkessel von Bosnien alle Bündnisse hinfällig. Die natürlichen, die künstlichen, die logischen und ganz besonders jene, die gerne auf das Amselfeld zurückgeführt werden. Im blutigen Tanz der Hunde entstehen sogar zwei verschiedene Armeen der bosnischen Muslime, die einander bekämpfen. Eine "gehört" dem "Geschäftsmann" Fikret Abdić, und die andere ist das 5. Korps der Regierungsarmee (ArBiH), Faruks Auftraggeber für die Sutivan-Mission.

Ich begegne Leutnant Faruk nie wieder. Bis heute frage ich mich, ob auch er damals – wie so viele bosnische Soldaten – vor die Entscheidung gestellt wird, zwischen zwei Armeen zu wählen, die nur eine einzige, natürliche und seit dem Amselfeld logische Armee sein sollten. ENDE Teil 1 (Bogumil Balkansky, 21.10.2016)