Das Südbahnhotel auf dem Semmering steht zum Verkauf: Touristischer Leerstand ist trist, ihn zu überwinden, erfordert kühne Ideen. Von diesen war bei der Leerstandskonferenz viel zu hören.

Foto: Veronika Zoidl

Die Geschichte des Dorfes St. Corona am Wechsel ist beispielhaft für das Schicksal vieler Wintersportgemeinden. Die ersten Touristen im frühen 20. Jahrhundert waren Wallfahrer, später kamen die Sommerfrischler, und schließlich erlebte der Ort mit heute 400 Einwohnern eine Hochblüte als Skidestination.

Streift man durch St. Corona, zeugen manche Fassaden noch vom Wintersportboom. An der Talstation des aufgrund immer wärmer werdender Winter 2014 abgerissenen Einsersessellifts steht noch "Bergbahnen St. Corona", auch der Waldgasthof und andere Betriebe tragen noch die alten Schriftzüge, ohne das Gemäuer mit entsprechendem Leben zu füllen.

Nicht nur darum bot der Ort einen geeigneten Schauplatz für die zweitägige Leerstandskonferenz, die das Architekturbüro nonconform zum fünften Mal veranstaltete, heuer zum Thema Tourismus. Vor allem auch weil Bürgermeister Michael Gruber einen offenen Umgang mit dem heiklen Thema Leerstand pflegt und die Gemeinde schon manche Initiative gesetzt hat, sich als Urlaubsziel wieder einmal neu zu erfinden.

Häufiges Problem

Das Problem, um Gäste kämpfen und ein Erfolgsimage erst wieder formen zu müssen, teilt St. Corona freilich mit vielen Tourismusgemeinden. Dass Wanderweg, Pensionsbett und Pommes frites keinen Erfolg mehr garantieren, gilt zwar als Gemeingut, die Konferenz wollte aber kreative Auswege zeigen statt ewig gleicher Lamentos.

Passenderweise fanden die Podiumsgespräche und Vorträge nicht in der schicken, neu gebauten Wechsel Lounge statt, sondern einen Stock tiefer, dort wo wenige Tage später der Skiverleih eröffnet werden sollte. Denn ganz hat St. Corona den Wintersport nicht aufgegeben, statt eines Sessel- gibt es nun einen Tellerlift und ein Förderband für Familien mit Kleinkindern, die Skifahren lernen, außerdem eine neue Sommerrodelbahn, einen Motorikpark und eben die architektonisch gewitzte Wechsel Lounge, die sich an den sanften Skihang schmiegt.

"St. Corona ist in seinem Transformationsprozess weiter als andere Orte" , attestierte Markus Redl, Geschäftsführer der Niederösterreichischen Bergbahnen-Beteiligungsgesellschaft. Das Thema Leerstand sei in traditionellen Wintersportorten leider "omnipräsent". Er plädierte wie viele der wechselnden Podiumsgäste für eine schonungslose Diskussion über das Problem Leerstand.

Querdenken statt Patentrezepte

"Bad Gastein ist überall", befand Redl im Gespräch mit dem STANDARD. Patentlösungen gebe es jedenfalls nicht und somit auch keine reine Lehre. Unausgesprochener Nachsatz: Nicht nur in Niederösterreich, sondern bundesweit wird sich wohl nicht für alle ehemaligen oder Nochwinterurlaubsorte eine so griffige touristische Strategie finden lassen wie in St. Corona.

Querschüsse und Visionen waren bei der von STANDARD-Architekturjournalist Wojciech Czaja moderierten Leerstandskonferenz ausdrücklich erwünscht. Der aus Norddeutschland angereiste Buchautor Daniel Fuhrhop stellte etwa seine im vergangenen Jahr erschienene Streitschrift Verbietet das Bauen! vor und verkündete: "Wir laufen ins Leere, wenn wir nicht aufhören, weiterzubauen wie bisher. Es gibt nun mal eine Konkurrenz um Geld, Energie und nicht zuletzt Menschen."

Yogakurse im ehemaligen Gasthof

Das gefiel im Publikum auch dem Architekten Christoph Feuchtenhofer. Gemeinsam mit einem befreundeten Organisationsberater ist der Niederösterreicher 2015 in seinen Heimatort Kirchberg am Wechsel zurückgekehrt. Weil der Gasthof zur Kaiserkrone leerstand, bezog Feuchtenhofer dort sein Büro und arrangierte das verwaiste Gebäude zum Co-Working-Space.

300 von 1000 m² seien wiederbelebt worden, auch weil mittlerweile eine Grafikerin eingezogen ist und der ehemalige Gastraum für Shiatsu- und Yogakurse genutzt wird. "Unser Co-Working-Space löst mehr Probleme als etwa die Wechsel Lounge", sagt Feuchtenhofer.

Klimawandel nicht Alleinschuldiger

Dass Investitionen in den Tourismus kein Allheilmittel gegen Leerstand sind, klang auch auf dem Podium immer wieder durch. Zudem sei der Klimawandel nicht der Alleinschuldige am Niedergang mancher Skiorte. Viele hätten sich nur auf die Wintersaison verlassen. Roland Wallner, Entwickler nachhaltiger Tourismusstrategien, verglich die Ski- mit der Ölindustrie: Man wisse, dass der Zenit überschritten sei und halte doch am Geschäftsmodell fest, solange es geht. Wallner plädierte dafür, den Leerstand als Ressource zu begreifen: "Man muss nicht einen neuen Kasten mit 50 Betten bauen, das ist eine enorme Chance."

Noch grundsätzlicher wurde Netzwerkforscher Harald Katzmair in seinem Vortrag über "Regionale Zyklen der Erneuerung". In Tourismusorten würde auf einen kommerziellen Höhepunkt meist eine Krise folgen. "Der Leerstand ist eine fast notwendige Phase in einem regionalen Zyklus." Doch wer in der Krise nichts lerne, könne sich nicht positiv verändern – das Alte zu verlernen sei das Allerschwierigste. Das Alte, es ist zumindest in St. Corona bereits Schnee von gestern. (Lukas Kapeller, 22.10.2016)