Für Politiker ist Trachtiges erst seit relativ kurzem wieder en vogue...

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...Im Bundespräsidentenwahlkampf haben Van der Bellen und Hofer Land und Landmode entdeckt.

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Das war neu. Im August spazierte Alexander Van der Bellen im Trachtensakko durch das Festzelt auf dem Altausseer Kirtag. Man habe ihm erzählt, das gehöre hier dazu, sagte er zu seiner folkloristischen Garderobe.

Auch sein Konkurrent im laufenden Präsidentschaftswahlkampf, Norbert Hofer, versteht es, sich modisch anzubiedern. Auf dem Neustifter Kirtag in Wien marschierte der burgenländische FPÖ-Kandidat im Steireranzug auf. Beide Kandidaten überbieten sich in Liebesbekundungen zur Heimat. Die Tracht soll ihnen dabei helfen – und doch sitzen beide einem Irrtum auf.

Die einzige echte Tradition hinsichtlich Trachten ist, dass sie seit je instrumentalisiert werden: In der Monarchie sollten sie einerseits der Völkerverständigung dienen, und doch nutzten sie zugleich Separatisten, um damit ihre kulturelle Eigenständigkeit zur Schau zu tragen. Die Nazis waren von Tracht ebenso angetan wie konservative Parteien in der Zweiten Republik. Heute sind Dirndln und Lederhosen unter Jungen wieder schick, beim gemeinsamen Schunkeln zu den Blut-und-Boden-Liedern von Andreas Gabalier oder zum Aufmarsch beim Wiener-Wiesn-Fest.

Kein Zugang zum Archiv

Die gute Stimmung beim Volksfest will man sich durch kritische Fragen zur Tracht nicht vermiesen lassen. Wie sakrosant das Thema nach wie vor ist, erleben derzeit die Wissenschafter des Forschungsprojekts "Tiroler Trachtenpraxis im 20. und 21. Jahrhundert". Leiter Timo Heimerdinger und sein Kollege Reinhard Bodner, beide Ethnologen an der Universität Innsbruck, arbeiten im Auftrag des Landes Tirol und in Kooperation mit dem Tiroler Volkskunstmuseum. Obwohl sie aus Mitteln des Landes gefördert werden, verweigert ihnen die Spitze des Landestrachtenverbandes (LTV), dessen Präsident Landeshauptmann Günther Platter ist, jedes Gespräch und den Zugang zum Archiv. Heimerdinger wundert sich über dieses Gebaren: "Es ist bedauerlich, wenn auch für unsere Forschungen nicht dramatisch. Bemerkenswert ist jedoch, dass es für diese Haltung – zumindest bislang – offenbar politische Rückendeckung gibt, obwohl das Land Tirol uns ja finanziert."

Der Obmann des LTV, Oswald Gredler, will zu dem Thema nichts sagen, er habe als Ehrenamtlicher einfach keine Zeit dafür. Der Verband arbeite anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums 2019 an einem eigenen großen Buch zum Thema Trachten. Dieses Projekt wird ebenfalls von der Landesregierung gefördert. Landeshauptmann Platter wollte dazu auf Anfrage nicht Stellung nehmen.

Grund für die Berührungsängste ist die Geschichte der Tiroler Trachten. Denn das Hauptaugenmerk der Forschungen Bodners und Heimerdingers liegt auf der "Mittelstelle Deutsche Tracht", die während der Zeit des Nationalsozialismus in Innsbruck angesiedelt war. Deren langjährige Leiterin Gertrud Pesendorfer schuf dort nach dem "Anschluss" Österreichs mit ihren Mitarbeiterinnen im Auftrag des NS-Regimes "erneuerte Trachten" nach Tiroler Vorbild für diversen Regionen inner- und außerhalb der "Ostmark". Ihre Mittelstelle war für das gesamte "Reichsgebiet" zuständig, bis Kriegsende 1945 wurden allerdings kaum Entwürfe publiziert. Sie wird fälschlicherweise oft als Erfinderin des modernen Dirndls bezeichnet. Doch das wäre zu viel der Ehre für die begeisterte Nationalsozialistin, sagen die Forscher.

Kontinuität nach den Nazis

Die meisten ihrer Schnitte und Ideen kupferte Pesendorfer von bestehenden Modellen ab. Trotzdem galt sie auch nach dem Krieg weiter als die Tiroler Trachtenexpertin. Für manche ist sie das heute noch. Sie publizierte große Teile ihrer in der NS-Zeit entstandenen Arbeit in ihrem Hauptwerk Lebendige Tracht in Tirol, das erstmals in den 1960ern erschienen ist und in ihrem Sterbejahr 1982 zuletzt neu aufgelegt wurde. Noch heute führt etwa der Universitätsverlag Wagner das Buch online als "Standardwerk zur Tiroler Tracht". Die einzige kritische Rezeption ihrer Arbeit lieferte bisher allein Volkskundlerin Elsbeth Wallnöfer.

Doch nun geht die Angst um, dass die Forscher die Trachtenvereine ins rechte Eck stellen könnten. Was nicht der Fall sei, sagt Heimerdinger: "Ursprünglichkeitsvorstellungen in Bezug auf Trachten müssen wir allerdings hinterfragen und das Bedürfnis danach analysieren. Zudem interessieren wir uns für die Bezüge zwischen Trachtenwesen und politischer Macht." In der NS-Zeit wurde das Thema für die eigenen Zwecke instrumentalisiert. "Trachten gab es natürlich schon vor dem Nationalsozialismus", stellt Heimerdinger fest. Doch die stramme Ordnungsidee der Nazis habe sich der strengen regionalen Zuordenbarkeiten im Trachtenwesen bedient. Denn die Tracht teilt die Menschen nach Geschlecht, Herkunft, Familienstand und sozialem Rang ein. Sie ist ein starkes Zeichen, nach außen wie nach innen.

Diese Zuordenbarkeit spielt auch heute noch eine Rolle, wenn Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer in Tracht auf Stimmenfang gehen. "Man versucht damit Nähe zu einer bestimmten Wählerschicht zu suggerieren", sagt Heimerdinger. Im Deutschland der Nachkriegszeit war das Tragen von Tracht unter Politikern verpönt. Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß war in den 1960ern der Erste. "Er setzte trachtige Kleidung ganz bewusst ein und trug sie nicht immer, sondern anlassbezogen", erklärt Heimerdinger. Selbst auf dem Münchner Oktoberfest waren Trachten selten zu sehen. Erst mit den Olympischen Sommerspielen 1972 besann man sich in Bayern der vermeintlichen Tradition und förderte fortan das Tragen der Tracht auf der Wiesn.

Die Urtracht gibt es nicht

Wer heute eine echte, wahre Tracht sucht, wird nicht fündig werden. Die "Urtracht" gibt es schlichtweg nicht. Die Entstehung regional unterschiedlicher Trachten siedelt der Ethnologe Bodner im 18. Jahrhundert an. Bis dahin bezeichnete das Wort Tracht, das vom Wort "tragen" herrührt, Bekleidung generell. In Tirol kam es in dieser Zeit, in der keine Kriege stattfanden und relativer Wohlstand herrschte, zur reichsten Entfaltung bäuerlicher Trachten, auch von Festtagstrachten: "Teile der Bevölkerung hatten dadurch Zugang zu einem reichen Angebot von Stoffen, Borten und Spitzen."

Die Trachten waren immer Konjunkturen unterworfen. Heute sind Dirndl und Lederhose dank Massenproduktion leistbare Accessoires. Sie zu tragen gilt im Moment unter jungen Leuten als schick. "Es ist aber ein Unterschied, ob der Verbandsfunktionär stolz seine Lederhose ausführt oder der Jugendliche in der Ledernen in der Disko tanzt", sagt Heimerdinger. Letztlich sei die Tracht ein Kostüm, und souveräne Individuen könnten durchaus ironisch damit umgehen. (Steffen Arora, 22.10.2016)