Die "Daily Mail" und andere Zeitungen nutzten how-old.net für eine Altersfeststellung von Flüchtlingen aus Calais.

Foto: how-old.net

Vor kurzem hat Großbritannien damit begonnen unbegleitete Flüchtlingskinder aus dem Lager im französischen Calais aufzunehmen. Der Start der Aufnahme ließ die politischen Wogen hochgehen. Gegner des Programms und auch der konservative Abgeordnete David Davies, unterstellten den Geflohenen implizit, sich als jünger auszugeben, als sie seien. Davies fordert zusätzliche Altersfestellungen über Zahnuntersuchungen.

Die Forderungen gehen auf eine Veröffentlichung der Boulevardzeitung "Daily Mail" zurück. Diese befasste sich ebenfalls mit der Debatte, allerdings auf eine sehr problematische Weise. Man lud Bilder der Flüchtlinge auf der Seite how-old.net hoch. Dabei handelt es sich um eine von Microsoft-Forschern entwickelte Web-App, die auf Basis von Bildanalyse versucht, das Alter abgebildeter Personen festzustellen.

Falsches Alter, falsche Fotos

Bei einigen der Flüchtlinge spuckte das Tool Altersangaben von deutlich über 18 Jahren aus. Auch andere Boulevardmedien übernahmen diese Vorgangsweise und veröffentlichten die Ergebnisse nebst Fotos. Dies sorgte für Aufregung und stellt außerdem einen Verstoß gegen den britischen Pressekodex dar, der das Ablichten Minderjähriger unter 16 ohne Einverständnis Erziehungsberechtigter untersagt.

Zudem stellte sich heraus, dass die verwendeten Fotos offenbar teils keine Flüchtlinge zeigten, die man nach Croydon gebracht hatte, sondern auch Menschen, die nach wie vor in Calais befanden oder gar keine Flüchtlinge sind. Das dokumentiert Ben Rathe, ein Mitglied der Liberal Democrats und einstiger Pressechef des Ex-Parteichefs Nick Clegg, auf Twitter.

Microsoft: Ungenaue "Spaß-App"

Nun hat sich Microsoft in der Causa zu Wort gemeldet. Gegenüber dem Guardian erklärt der Konzern, was man bereits bei der Vorstellung der Software vor einem Jahr betont hatte. Nämlich, dass das Tool nicht übermäßig verlässlich arbeite und als "Spaß-App" zu betrachten sei.

Auch eine Abgeordnete der rechtspopulistischen Ukip, Jane Collins, merkte an, dass die Flüchtlinge ihrer Ansicht nach älter aussehen würden als sie angaben. Bei einem vom Guardian durchgeführten Test mit zwei Bildern der 46-jährigen Abgeordneten wurde sie selbst einmal als 54 Jahre alt und einmal als 70 Jahre alt eingeschätzt.

Im Probelauf mit zwei WebStandard-Redakteuren lag "How Old" im ersten Fall richtig, die zweite Person wurde zehn Jahre älter eingeschätzt, als sie tatsächlich ist.

Präzise Einschätzung nicht möglich

Die britische Regierung bezieht laut Leitfaden das "physische Aussehen" nur als einen von mehreren Faktoren in ihre Einschätzungen ein. Das Hauptaugenmerkt liegt auf vorliegenden, behördlichen Ausweispapieren oder anderen "glaubwürdigen Dokumenten" der Flüchtlinge. Man hält auch fest, dass keine einzelne Feststellungsmethode oder Kombination aus Methoden vollkommen präzise Ergebnisse liefern könne.

David Isaac, Leiter der Kommission für Gleichbehandlung und Menschenrechte will die Debatte wieder zurück auf das Leid der Geflohenen lenken. "Wir sehen die höchste Zahl flüchtender Kinder seit dem Zweiten Weltkrieg", erklärt er. "Die Rechte der Kinder wahrt man am besten, indem man sie als Kinder ansieht, solange das Gegenteil nicht erwiesen ist." Gäbe es begründeten Verdacht, solle das Alter nicht über Fotos und Computersoftware, sondern von unabhängigen Experten ermittelt werden. (gpi, 25.10.2016)