Alle Jahre wieder: Angela Merkel mit den Sternsingern im Bundeskanzleramt.

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Die Kanzlerin empfiehlt Blockflöten und Weihnachtslieder gegen Angst vor Islamismus.

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Sieben Wochen ist es her, dass die CDU bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern eine historische Niederlage einstecken musste. Die Landespartei der Christdemokraten wurde für den Berliner Regierungskurs abgestraft, rutschte unter zwanzig Prozentpunkte (19 Prozent) und landete hinter der rechten AfD (20,8 Prozent) auf Platz drei.

Es ist also reichlich Zeit vergangen, in der die CDU das Ergebnis analysieren und Lehren aus der Wählerwatsche ziehen konnte. Am Samstag hielt die Landes-CDU nun einen Sonderparteitag ab, der Aufschlüsse über den Zustand der Partei lieferte.

Zuerst wurde der Kandidat für das Justizressort kurz vor dem Treffen zurückgezogen. Das Vergehen des Stralsunder Staatsanwalts Sascha Ott: Er hatte auf einer AfD-Facebook-Seite einen dort geposteten Zeitungsartikel mit einem "Like" markiert. Ott erklärte daraufhin, er werde sich nicht "in einen Käfig politischer Korrektheit sperren" lassen. Das lässt zwei Interpretationen zu, die beide kein gutes Licht auf die Performance werfen: Entweder hat die CDU jemanden für ein Regierungsamt vorgeschlagen, ohne dessen politische Positionen ausreichend zu kennen, oder aber es gibt in der Partei keine Diskussionsbereitschaft.

Dann sorgte die Bundeskanzlerin beim Parteitag unfreiwillig für Gelächter der Delegierten. Angela Merkel erklärte zunächst, die AfD sei eine "Neinsagerpartei", die nur sage, was nicht gehe. Davon werde das Leben aber nicht besser, so die Kanzlerin – ihre eigene Partei versuche dagegen, Lösungen anzubieten.

Wie ihre Lösungsansätze aussehen, verdeutlichte Merkel dann mit einem Exkurs über weihnachtliche Traditionspflege: "Ich weiß, dass es Sorgen vorm Islam gibt. Aber wir sind die Partei mit dem 'C' im Namen. Haben wir eigentlich noch Selbstbewusstsein? Man muss ja nun wirklich nicht irgendwo hingehen, von AfD zu Pegida, um Weihnachtslieder, christliche, singen zu dürfen. Aber wie viele von uns tun denn das noch auf ihren Weihnachtsfeiern in den Kreisverbänden? Und wo, läuft da irgend so ein Tamtamtam und "Schneeglöckchen, Weißröckchen" oder was weiß ich (...) Ich meine, wie viele christliche Weihnachtslieder kennen wir denn noch? Und wie viel bringen wir denn unseren Kindern und Enkeln bei? Und da muss man sich dann eben mal ein paar Liederzettel kopieren und einen, der noch Blockflöte spielen kann oder so, mal bitten ... ja, ich mein das ganz ehrlich, sonst geht uns ein Stück Heimat verloren."

Daran, dass Merkel diese Aussagen "ganz ehrlich meint", bestehen kaum Zweifel. Schon vor einem Jahr hatte die Kanzlerin bei einer Diskussionsveranstaltung in Bern auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise auf eine Frage nach Maßnahmen gegen eine Bedrohung durch Islamismus den Rat gegeben, in die Kirche zu gehen und "bibelfest zu sein", anstatt sich "zu beklagen, dass sich Muslime im Koran besser auskennen".

Philemon08

Merkels Einschätzung der konzeptlosen "Neinsagerpartei" AfD trifft wohl zu – allerdings hatte die Partei auch noch keine Gelegenheit, in Regierungsverantwortung Lösungskompetenz zu beweisen. Und natürlich wird im rechten Spektrum gerne mit dem "christlichen Abendland" Stimmung gemacht, auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wachelt gerne mit einem Kreuz herum, Bundespräsidentschaftskandidat Norbert Hofer verlässt sich bei seiner Kampagne gar auf Gottes Hilfe.

Doch es ist in den allermeisten Fällen nicht die Sorge vor dem Verlust christlicher Traditionen, warum immer mehr Menschen Parteien wie der AfD ihre Stimme geben. In Mecklenburg-Vorpommern ist es umso absurder, mit dem Christentum zu argumentieren, als in dem norddeutschen Bundesland gerade mal rund 20 Prozent christlichen Glaubens, beinahe 80 Prozent dagegen religionsfrei sind. Das bedeutet, dass es weniger Christen in Meck-Pomm gibt als AfD-Wähler oder dass die CDU ihr C-Potenzial beinahe vollständig ausgeschöpft hätte.

Die Menschen wählen die AfD auch nicht, weil sie alle xenophobe Rassisten wären. Gewiss, auch diese gibt es. Doch der weitaus überwiegende Teil fühlt sich einfach von den übrigen Parteien nicht mehr verstanden. Deren Funktionäre haben sich von den Alltagsproblemen der Bürger entfremdet.

Größte Gruppe Konfessionslose

Insgesamt sind rund 34 Prozent der Einwohner Deutschlands religionsfrei. Die Konfessionslosen stellen damit die größte Gruppe, liegen weit vor den Anhängern der katholischen (knapp 29 Prozent) und evangelischen (27 Prozent) Kirchen. Diese Gruppe hat ein Anrecht auf eine Politik, die ihre Interessen in einem säkularen Staat vertritt, in dem eine saubere Trennlinie zwischen religiösen und politischen Belangen gezogen wird.

Merkel sagt, dass sie über die Sorgen in Hinsicht auf den Islam Bescheid wisse. Doch die Sorgen der Menschen betreffen nicht die Muslime an sich, sondern die Ansprüche des politischen Islam. Die Konsequenzen, die sich aus diesem Anspruch ergeben, manifestieren sich in immer stärker werdenden islamistischen Tendenzen, wie auch eine Studie über die Radikalisierungsgefährdung Jugendlicher in Wien zuletzt aufzeigte.

Der Teufel und der Beelzebub

Es ergibt keinen Sinn, dem auf Religion basierenden Radikalismus mit der Forderung nach mehr Religiosität zu begegnen, wie Merkel dies propagiert. Man kann den Teufel nicht mit dem Beelzebub austreiben, das sollte die bibelfeste Kanzlerin wissen. Sie hat jedoch damit recht, dass eine Rückbesinnung auf die einenden Werte nötig ist. Doch die Europa zugrundeliegenden Werte haben ihre Wurzeln nicht in der Religion, sondern in der Aufklärung und dem Humanismus. Diese Werte wurden der christlich dominierten Herrschaft über Jahrhunderte abgerungen.

Die Antwort auf eine islamistische Bedrohung und das Erstarken der rechten Parteien liegt also nicht in Kirchenbesuchen und im Singen von Weihnachtsliedern mit Blockflötenbegleitung, sondern in der Stärkung des Liberalismus und des Laizismus, der Demokratie und der Menschenrechte. Dies sollte auch die Partei mit dem "C" im Namen erkennen, denn sonst geht sie bald flöten. (Michael Vosatka, 24.10.2016)