Man kann nicht eben behaupten, dass die kleine Insel La Réunion in der Geschichte des Kinos eine große Rolle gespielt hätte. Und man kann mit Sicherheit behaupten, dass sie das auch in Zukunft nicht tun wird. Wenn aber ein Film wie dieser auf der vor Madagaskar gelegenen französischen "Insel der Zusammenkunft" spielt und eine Geschichte wie diese erzählt, dann sollte man ihn gesehen haben.

Ein Außenseiter mitten in der Gesellschaft: Wie ein Gefangener zappelt Patrice (Patrice Planesse) im Netz der Beziehungen und Abhängigkeiten.
Foto: Viennale

Sac la mort heißt dieser Film des aus Südfrankreich stammenden Emmanuel Parraud, der bereits mit seinem ersten Spielfilm Avant-poste, der vor sieben Jahren in Cannes zu sehen war, eine Affinität zur ehemaligen Bourbonen-Insel erkennen ließ. Mit Sac la mort ist ihm nun eine Arbeit gelungen, die sich einer Beschreibung nahezu entzieht: eine Mischung aus Genrefilm und Dokumentation, aus Kriminalfilm und Melodram, aus Milieustudie und Cinéma vérité.

Zu Beginn ist das Schreckliche bereits geschehen, die Blutspuren im Gras künden von der Tat. Patrice (Patrice Planesse) habe ein Problem, erklärt ihm ein Freund, denn die Polizei habe ihn angerufen. Man würde den Kopf seines Bruders vorbeibringen, damit er ihn identifizieren könne. "Aha", meint Patrice und geht in seinem Hinterhof auf und ab.

Der Mann, der mit einer Machete in der Hand ruhig vor seinem Haus wartet, legt gleich ein Geständnis ab: Er habe Patrice' Bruder ermordet. Er wisse aber nicht warum. Das kurze Gespräch zwischen den Männern, die einander kennen, geschieht wie in Trance, wie in einem Fiebertraum, von dem man wie Patrice zu erwachen hofft, obwohl man bei vollem Bewusstsein ist. Und während man noch glaubt, soeben die Ouvertüre zu einem möglichen Rachethriller gesehen zu haben, nimmt Sac la mort ganz andere Fährten auf. Träumt sich weiter durch die folgenden schwarzen Nächte und heißen Tage.

ACID CinéIndépendant

Denn langsam lässt Emmanuel Parraud ein Geflecht aus Beziehungen und Abhängigkeiten entstehen, in dessen Mitte Patrice wie ein im Spinnennetz Gefangener zappelt. Immer wieder holt ihn die Vergangenheit ein, treibt ihn vor sich her: Das Haus muss verkauft werden, ein väterliches Versprechen wiegt schwer, als Heimkehrer aus Frankreich sei er zum Außenseiter geworden, bekommt er zu hören.

Das Französische und das Kreolische fließen ineinander, so wie die Kulturen und Religionen, Magie und Wirklichkeit. Und während die kleinen Häuser und die riesigen Wellen am Strand den Druck auf Patrice unentwegt verstärken, wird Sac le mort über das Porträt dieses Mannes immer mehr zu einem Gesellschaftsbild, in dem sich das kolonialistische Erbe ebenso spiegelt, wie die stolze Gegenwart und die Zukunftsängste.

Denn das ist die Geschichte der "Insel der Zusammenkunft". (Michael Pekler, 25.10.2016)