Synchronsprecher Thomas Nero Wolff: "Wenn man nicht unbedingt das Ego gekitzelt haben möchte und in der Öffentlichkeit stehen will, dann ist das ein toller Job."

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Wenn Tom Hanks Deutsch spricht, steckt jetzt Thomas Nero Wolff dahinter.

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STANDARD: Synchronsprecher Wolfgang Pampel (Harrison Ford, Anm.) hat erzählt, dass in den 1970er-Jahren viele aus der Branche Pornos synchronisiert hätten. Sie auch?

Wolff: Das haben viele gemacht. Zu meiner Zeit waren es dann eher Softpornos oder Erotikfilme. Das ist aber relativ schnell wieder aus Berlin verschwunden und in irgendwelche kleinen Dörfer gewandert, wo einer ein kleines Studio gebaut und sich dann darauf spezialisiert hat. Aus Berlin ist das bestimmt schon 20 Jahre weg. In meiner Anfangszeit waren auch bei mir bestimmt ein paar Erotikfilme dabei. Man hat es halt mitgemacht und ein bisschen rumgestöhnt. Wir waren jung und brauchten das Geld.

STANDARD: Mit Arne Elsholtz ist kürzlich der langjährige Synchronsprecher von Tom Hanks gestorben. Wie schwierig war es, diese Rolle in "Inferno" zu übernehmen?

Wolff: Für mich ist es gar nicht schwierig. Ich habe vor etwa 25 Jahren bei einer Synchronisation aus der Regie die Anweisung bekommen: "Mach mal anders, du klingst ja wie Arne." Ich habe das in meinem natürlichen Timbre drinnen und praktisch die gleiche Stimmlage wie Arne. Im Laufe der Zeit kamen immer wieder mal Anfragen, wenn er keine Zeit hatte, und ich war in fast jedem Film mit irgendeinem Satz dabei, weil es später geändert wurde. Arne hatte keine Lust, dafür extra nach Berlin zu kommen. Ich habe es für mich kultiviert, und irgendwann gab es einfach keinen Unterschied mehr. Den jungen Arne habe ich 1:1 in meiner Kehle.

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STANDARD: Es war also logisch, dass Sie seinen Part übernehmen?

Wolff: Ja, um einfach für den Zuseher – und das war mir das Wichtigste – die Stimme zu erhalten. Man kennt das, wenn man ins Kino geht und plötzlich jemand eine andere Stimme hat. Es fehlt dann die Lust, den Film anzuschauen. Aus diesem Grund habe ich gesagt: Ich mache das nicht als ich, sondern als Arne. Ich kann mich noch gut an Sean Connerys Stimme erinnern. Ich war im Kino, und plötzlich hatte er eine andere Stimme. Ich bin rausgegangen und habe dann erst erfahren, dass die deutsche Stimme verstorben war.

STANDARD: Tom Hanks hatte ja eine sehr markante Stimme. Ein gewisser Bruch wird trotzdem da sein, den die Zuseher merken, oder?

Wolff: Nein, das merken sie nicht. (lacht) Wenn Sie sich "Inferno" ansehen, werden Sie keinen Unterschied hören. Ich habe bereits im letzten "Ice Age"-Film das Mammut gemacht, das war vorher auch Arnes Part. Die Produzenten wollten auch hier keine andere Stimme, wenn sie etwa die gesamte DVD-Box mit den jetzt schon fünf Teilen verkaufen. Einhelliger Tenor in der Presse war: Ah, den Film hat er wohl noch vor seinem Tod gemacht.

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STANDARD: Ist das für Sie eine Art Verpflichtung, weiter Tom Hanks zu synchronisieren, um den Zusehern Kontinuität zu garantieren?

Wolff: Ja, auf jeden Fall, obwohl ich den nächsten Film zum Beispiel nicht machen werde. Die Verträge wurden bereits im Februar mit einem anderen tollen Kollegen fixiert. Wie es dann in Zukunft sein wird, weiß ich nicht. Ich bin jedenfalls bereit. Ich sage zu den Verleihern gerne: Stellt euch vor, in den USA würdet ihr plötzlich Robert De Niro synchronisieren. Welcher Aufschrei würde da durch Amerika gehen? Und hier macht man es einfach so nonchalant, weil der Redakteur meint: "Ach, die andere Stimme finde ich doch besser." Das kann man einfach nicht machen. Es passiert aber nicht ständig, und in der Regel bleibt die Stimme. Das hat sich zum Glück in den letzten 20 Jahren so entwickelt.

STANDARD: Sie hanteln sich von Film zu Film?

Wolff: Ja, es lässt sich keine Generalisierung machen, weil es ja unterschiedliche Verleiher sind. Das lässt sich vertraglich nicht regeln. Es sei denn, Tom Hanks würde sagen, dass er sich von niemandem anderen synchronisieren lässt. Aber das macht kein Schauspieler, glaube ich.

STANDARD: Auf die Stimmen von Hugh Jackman und Woody Harrelson sind Sie ja seit vielen Jahren abonniert. Verschafft Ihnen das eine gute Verhandlungsposition?

Wolff: Ich bin einmal bei Hugh Jackman umbesetzt worden, weil es ein Woody-Allen-Film war, und bei Woody-Allen-Filmen ist nie jemand gesetzt, aber ansonsten habe ich das noch nicht erlebt. Bei diesen Schauspielern bin ich eigentlich nicht umzubesetzen.

STANDARD: Gibt es persönlichen Kontakt zu Schauspielern?

Wolff: Es gibt nur eine Handvoll Schauspieler, die sich für ihre Synchronstimmen interessieren. Hugh Jackman gehört zum Glück dazu. Wir haben uns zweimal getroffen. Er ist sehr sympathisch. Ein groß gewordener Junge, ein sehr neugieriger, wacher Geist. Ich finde ihn auch als Schauspieler sehr gut. Er wird mit dem Alter immer besser wie auch ein Sean Connery oder Tom Hanks. Hugh Jackman ist aber der Einzige, denn in der Regel haben die meisten kein Interesse an Kontakt, was aber sicher auch am Stress liegt.

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STANDARD: Gibt es jemanden, den Sie gerne synchronisieren möchten?

Wolff: Nein, sonst würde ich vielleicht auch meinen Kollegen in die Parade fahren. (lacht) Ich bin mit meinen, also Hugh Jackman, Woody Harrelson und möglicherweise auch weiter Tom Hanks, sehr zufrieden. Gerne würde ich auch die anderen Stimmen, die Arne Elsholtz synchronisiert hat, mitmachen: etwa Kevin Kline, Jeff Goldblum oder Bill Murray. Das sind schon tolle Leute.

STANDARD: Was passiert, wenn zwei "Ihrer" Schauspieler im gleichen Film auftreten?

Wolff: Das wäre lustig, aber ich glaube nicht, dass das jemand merken würde, weil ich beide unterschiedlich anlege. Grundsätzlich haben Verleiher Angst davor und besetzen dann eine von diesen beiden Stimmen um. Stallone und Schwarzenegger haben dieselbe Stimme und sind im gleichen Film aufgetreten. Das hat auch keiner gemerkt.

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STANDARD: Bei Ihrer langen Liste an Schauspielern wundert es mich, dass es noch nie eine Überschneidung gab.

Wolff: Nein, die gab es in den letzten 30 Jahren nicht. (lacht) Ob das jetzt in Deutschland, Italien oder Indien ist, sprechen jene, die die Stars haben, auch viele andere. Vielleicht gibt es nicht genügend Synchronsprecher? In anderen Ländern haben Synchronsprecher jedenfalls oft den Status von Stars, was in Deutschland ja überhaupt nicht der Fall ist.

STANDARD: Ihr Kollege Benjamin Völz hat kritisiert, dass die Bezahlung schlecht ist und die Wertschätzung fehlt. Sie sehen das also auch so?

Wolff: Auf jeden Fall. Man kann darüber streiten, ob es gut ist, dass wir nicht so eine große Wertschätzung erfahren. Ich denke für mich, dass vielleicht ein bisschen von der Faszination verlorengehen könnte, wenn wir als Synchronschauspieler so in der Öffentlichkeit stehen. Im Kino sitzend würde man vielleicht denken: Das ist der Schauspieler, und das ist die Stimme von Thomas Nero Wolff. Das könnte die Illusion kaputtmachen, aber nachdem das in anderen Ländern gang und gäbe ist und die dort als Stars in der Öffentlichkeit stehen, scheint es nicht so zu sein. Also ja, definitiv ist die Wertschätzung sehr gering. Und die Bezahlung auch.

STANDARD: Zum Beispiel?

Wolff: Wenn man das ins Verhältnis zur Gage der Stars setzt, sind das bei uns vielleicht 0,0001 Prozent. Ich möchte damit nicht sage, dass ich am Hungertuch nage, aber im Verhältnis ist das doch sehr wenig. Früher hat man für einen Take 2,50 Euro bekommen. Inflationsbereinigt auf die letzten 40 Jahre müssten wir heute bei zwölf Euro stehen. Wir halten aber zwischen drei und vier Euro. Wir haben jetzt mit dem Synchronverband "Die Gilde" eine Organisation, die in vielen Bereichen aktiv ist. Das fängt bei der Ausbildung an und geht bis zur Forderung, die Gagen jährlich anzuheben und diese auch zu veröffentlichen. Wir versuchen die Qualität hochzuhalten.

STANDARD: Gibt es so viele Synchronsprecher, dass die Bezahlung so schlecht ist?

Wolff: Nein, wir möchten ja Nachwuchs rekrutieren. Es ist eine gewachsene Struktur. Früher war das auch verpönt. Viele Theater- und Filmschauspieler haben gesagt: Synchron? Nein, das mache ich nicht. Erst als sie es das erste Mal probierten, wussten sie, dass sie dafür doch ihren Beruf mitsamt dem Handwerk brauchen. Ich habe auch schon von mir hochverehrte Theaterschauspieler vor dem Mikrofon versagen sehen, weil es etwas anderes ist und ich nicht sechs Wochen Zeit habe, um mir eine Rolle zu erarbeiten. Man braucht auch ein gewisses Talent dafür.

STANDARD: Wie lange hat das Synchronisieren des neuen Films mit Tom Hanks gedauert?

Wolff: Es waren zehn halbe Tage, weil Tom Hanks fast in jeder Szene vorkommt. Ich mach das nicht länger als vier Stunden pro Tag. Die gesamte Synchronisation hat für diesen Film drei Wochen gedauert, glaube ich.

STANDARD: Im Atelier ist man ja in der Zwischenzeit alleine.

Wolff: Zu meiner Linken sitzt in der Regel die Cutterin und hinter Glas befinden sich Tonmeister und Regisseur. Früher haben mehrere Schauspieler zusammengearbeitet. Das hat sich geändert, weil die Amerikaner das gerne separat aufgenommen haben wollten. Jetzt trifft man sich überhaupt nicht mehr, das ist leider vorbei.

STANDARD: Ist das jetzt einfacher, weil Sie sich nur auf Ihren Part konzentrieren können, oder fehlt das Schauspiel?

Wolff: Es ist natürlich jetzt präziser, weil ich immer komplett in der Rolle bleiben kann. Auch für die Cutterin ist das Schneiden einfacher. Sie konnte natürlich nicht gleichzeitig auf zwei, drei Münder schauen. Manchmal hat das nicht so exakt gepasst, aber jetzt gibt es durch die Digitalisierung ja ganz andere Möglichkeiten. Was fehlt, ist der Ansprechpartner. Wenn man ans Theater kommt, ist man es gewöhnt, mit jemandem zu spielen. Jetzt musst du dir das alleine erarbeiten.

STANDARD: Sie kommen wie die meisten Synchronsprecher auch vom Theater.

Wolff: Ja, ich habe eine Schauspielausbildung, hatte ein paar Filmrollen, bin aber sehr glücklich, dass ich in dieses Fach gerutscht bin. Ich bin nicht gerne lange weg von Berlin und meiner Familie, kann mir meine Arbeitszeit einteilen und spiele den ganzen Tag die unterschiedlichsten Rollen. Wenn man nicht unbedingt das Ego gekitzelt haben möchte und in der Öffentlichkeit stehen will, dann ist Synchronisation ein toller Job.

STANDARD: Schauen Sie Filme im Original oder synchronisiert?

Wolff: Nur synchronisiert. Entweder haben die einen Slang drauf oder es ist vernuschelt. Wenn Filme gut sind, tauche ich immer tief ein. Ich könnte mich sonst gar nicht in den Film reinfallen lassen, wenn ich angestrengt zuhören müsste, um alles im Englischen zu verstehen oder um den Untertiteln zu folgen. Ich kann nicht nachvollziehen, warum man das macht. Die Synchronisationen sind auch gut. Das machen tolle Kollegen, die sich sehr viel Mühe geben, nahe am Original zu bleiben – jedenfalls in den großen Kinofilmen. Ich denke, man sollte es nur ganz bei speziellen Filmen lassen, etwa wenn ein harter Slang schwer ins Deutsche zu übertragen ist, aber da handelt es sich vielleicht um 0,5 Prozent vom Gesamtkuchen.

STANDARD: DVDs gibt es schon lange, seit ein paar Jahren sind Streamingdienste auf dem Vormarsch. Wird dadurch weniger synchronisiert, weil es die Möglichkeit bietet, im Original zu schauen oder Untertitel einzublenden?

Wolff: Es hat nicht nachgelassen, sondern unglaublich zugenommen. Die ganzen Plattformen von Netflix bis Amazon müssen ja bestückt werden.

STANDARD: Woher kommt bei Ihnen der Name Nero? Waren Ihre Eltern Fans des römischen Kaisers?

Wolff: Nein, das ist ein zugelegter Künstlername. Eine profane Geschichte: Es gab einen Kollegen, der auch Thomas Wolff hieß und im gleichen Bezirk wohnte. Als er öfter meine Gagen bekommen hatte und ich seine, habe ich irgendwann gesagt: Es reicht. Ich hatte früher ein paar Boutiquen, und eine davon hieß Nero. Der Name ist aber mehr von schwarz und weniger von dem Kaiser gekommen. (Oliver Mark, 25.10.2016)