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Kathryn Hahn und Jennifer Aniston in "Wanderlust".

Foto: Universal Pictures, Gemma La Mana/AP/dapd

Es wird gesungen werden, auch und gerade in finsteren Zeiten. Unter diesem Motto brachte ein kleines Off-Theater in Atlanta vor kurzem Bertolt Brechts "Dreigroschenoper" auf die Bühne. Die Inszenierung, schräg, sexy und ein bisschen anarchisch, spielte fröhlich mit den vielen Facetten des Brecht'schen Verfremdungseffekts, mischte Elemente des Vaudeville, des expressionistischen Stummfilmkinos und der "Rocky Horror Picture Show", widerstand der Versuchung tagesaktueller Anspielungen und wurde zum Überraschungserfolg.

Nun ist Atlanta zwar die größte Metropole des amerikanischen Südens und außerdem Heimat von "Vom Winde verweht", war aber bislang nicht unbedingt als Kulturdrehkreuz bekannt. Das mag auch damit zu tun haben, dass die Südstaaten seit Jahrzehnten Red States sind, Staaten mit solider republikanischer Mehrheit. Und dass es Künstler und Kulturschaffende tendenziell mehr in die Blue States zieht, Staaten, in denen die Demokraten dominieren, vor allem Kalifornien und New York.

Knalliges Pink

Doch in diesem Jahr ist alles etwas anders. Die politische Landkarte der USA hat sich, zumindest in Teilen, neu gemischt. So könnte Georgia am 8. November demokratisch werden. Auf der interaktiven Wahlkarte des Nachrichtensenders CNN leuchtet mein Heimatstaat jedenfalls in knalligem Pink der Swing States, der Staaten mit unklarer Mehrheit.

Kultur ist der Politik ja häufig einen Schritt voraus. Und so zog viele Jahre, bevor die "Dreigroschenoper" in Atlanta für Furore sorgte, bereits die Filmindustrie gen Süden, vor allem nach Georgia. In Atlanta wurden Kassenschlager wie "The Blind Side" mit Sandra Bullock, "Wanderlust" mit Jennifer Aniston, der jüngste "Spiderman"-Film sowie mehrere Teile der "Tribute von Panem"-Saga gedreht.

Hollywood des Südens

Die Pinewood Studios südlich von Atlanta werden nach abgeschlossener Erweiterung 2017 der größte Film- und TV-Studiokomplex in den USA außerhalb von Los Angeles sein. Bereits heute trägt Georgia den Spitznamen "Hollywood des Südens".

Grund für die Magnetwirkung der Südstaaten auf die Filmindustrie: die landschaftliche Vielfalt, die guten Wetterverhältnisse – und das unternehmensfreundliche Klima, Letzteres übrigens ein Verdienst republikanischer Wirtschaftspolitik.

Atlanta ist außerdem ein Mekka der Hip-Hop-Kultur; hier leben zahlreiche Szenestars wie Ludacris, Usher, Outkast, T. I. und Ciara. Hip-Hop thematisiert seit seinen Anfängen in den 70er-Jahren soziale Missstände, Polizeigewalt und Rassismus. Der Aufstieg von Barack Obama, dem ersten schwarzen Präsidenten der USA und bekennenden Anhänger der einstigen Ghetto-Musik, war eine goldene Stunde für die Hip-Hop-Community.

Der aktuelle Wahlkampf allerdings stürzt viele Hip-Hop-Künstler in ein Dilemma. Denn: Der republikanische Kandidat Donald Trump genießt eine Art bizarren Kultstatus in der Szene. Der "Huffington Post" zufolge kam der Immobilienmogul und Reality-TV-Star in den vergangenen 25 Jahren etwa 70-mal in Hip-Hop-Songs vor; andere Quellen setzen die Zahl noch höher an. Trump steht für Geld, Glamour und schillernden Lebensstil, eben "für alles, wonach sich Amerikaner sehnen", sagte Rapper-Legende Ice Cube in einem Interview: "reich sein, mächtig sein, sein, wie man will, tun, was man will, sagen, was man will".

Auf Trumps rassistische Ausfälle reagiert die Hip-Hop-Szene gespalten. Einige Künstler schweigen oder wenden sich anderen Themen zu. Viele machen ihrem Unmut über Trump lautstark Luft – mit Songs ganz im drastischen Stil ihrer einstigen Muse. Immerhin: Es wird gesungen im amerikanischen Süden. (Katja Ridderbusch aus Atlanta, 27.10.2016)