Italien fordert einmal mehr Solidarität von den EU-Staaten.

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155.000 Menschen sind zu viel. Italiens Premierminister Matteo Renzi hat in einem Interview mit dem TV-Sender Rai erneut klargemacht, dass sein Land die Bürde der Flüchtlingsankünfte nicht alleine tragen kann. Fast 155.000 Personen waren es bisher in diesem Jahr, die über das Mittelmeer nach Italien gekommen sind. Noch ein Jahr mit ähnlich hohen Ankunftszahlen könnte Italien nicht verkraften, sagt Renzi. Er appelliert an die EU-Staaten, Italien zu helfen, und droht mit einem Veto gegen den EU-Haushalt.

Seit Monaten kommen täglich mehrere hundert bis mehrere tausend Migranten und Bootsflüchtlinge in Italien an – meist an Bord von Schiffen der Küstenwache oder der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Fast 20.000 unbegleitete Minderjährige waren bis zum vergangenen Wochenende unter den Angekommenen, für sie will die Regierung nun einen separaten "Hotspot" zur Registrierung und anschließenden Unterbringung und Betreuung einrichten. Die Flüchtlingszahlen liegen inzwischen über jenen des Rekordjahrs 2014.

Für die Behörden wird es immer schwieriger, die neu ankommenden Migranten unterzubringen, obwohl die Aufnahmekapazitäten allein in diesem Jahr um 60.000 Plätze erweitert wurden. Waren im Rekordjahr noch 66.000 Menschen in nationalen Aufnahmestrukturen untergebracht, so sind es heute 167.000. "Wir sind nahe am Kollaps, inzwischen reichen auch die leerstehenden Kasernen nicht mehr aus", zitierte die Zeitung "La Repubblica" eine Quelle im Innenministerium.

Blockade im Po-Delta

Auch in den Gemeinden regt sich Widerstand. So hatten in der Nacht auf Dienstag protestierende Einwohner des Fischerdorfs Gorino im Po-Delta die Zufahrt zu einer Herberge verbarrikadiert, um die Unterbringung von zwölf Frauen und Kindern aus Afrika zu vereiteln. Die Demonstranten skandierten Parolen gegen die unerwünschten Fremden und Premier Renzi. Dass der Protest nicht in Handgreiflichkeiten ausartete, war nur dem besonnenen Auftreten der Polizisten zu verdanken.

Der Bus mit den Flüchtlingen, unter denen sich auch eine Schwangere befand, blieb in Ferrara blockiert; schließlich wurden die Menschen anderswo in improvisierten Unterkünften untergebracht, wie der Präfekt der Provinz Ferrara, Michele Tortora, erklärte. Die Protestaktion war also erfolgreich. Gorino hat noch keinen einzigen Migranten aufgenommen. Zweieinhalb Jahre lang habe er die Gemeinde immer wieder aufgefordert, einige Plätze zur Verfügung zu stellen – ohne jeden Erfolg, betont Tortora. Angesichts der kompletten Auslastung aller übrigen Strukturen in der Provinz habe er die Unterbringung der Gruppe von Müttern in der Herberge als "außerordentliche Notmaßnahme" verfügt.

Inneminister: "Kein Spiegel Italiens"

Gorino könnte zu einem Präzedenzfall werden – zumal es sich bei der Blockade um eine Premiere handelt: Zwar stößt auch die Aufnahmebereitschaft der Italiener zunehmend an Grenzen, doch ist es in Italien bisher kaum zu militanten Bürgerprotesten gekommen.

Innenminister Angelino Alfano betonte, dass die Vorgänge in Gorino "kein Spiegelbild Italiens" seien. Doch der Ton in der politischen Debatte ist schärfer geworden. "Die Bürger von Gorino sind für uns die neuen Helden des Widerstands", erklärte die Lega Nord. Die fremdenfeindliche Partei habe die Blockade unterstützt, und sie werde auch jede andere Aktion unterstützen, die sich gegen die "Diktatur der Flüchtlingsaufnahme" wende, hieß es in einer Stellungnahme. Auch die Forza Italia von Silvio Berlusconi solidarisierte sich und bezeichnete die Blockade gegen Frauen und Kinder als "Initiative des gesunden Menschenverstands". (Dominik Straub aus Rom, 27.10.2016)