Auch Ex-Präsident Heinz Fischer nahm an der Expertenkonferenz in Sotschi teil.

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Sotschi – Angesichts der Kriege in Syrien und im Irak hat Kremlchef Wladimir Putin einen Marshall-Plan für den Nahen Osten gefordert. "Die kolossale Zerstörung verlangt die Entwicklung eines langfristigen und komplexen Programms", sagte der russische Präsident am Donnerstag bei einer Expertenkonferenz im Schwarzmeerkurort Sotschi.

"Wenn Sie so wollen, eine heutige Form eines 'Marshall-Plans' für eine Wiederbelebung dieser von Kriegen und Konflikten gequälten Region", erklärte Putin der Agentur Interfax zufolge bei der Konferenz, an der auch der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer teilnahm.

Putin bezog sich auf das bekannte Programm der USA zum Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkriegs. Das nach US-Außenminister George Marshall benannte Milliardenprogramm war Moskau ein Dorn im Auge, weil es auch dazu dienen sollte, die Ausbreitung des Kommunismus in Europa zu verhindern. Die Sowjetführung untersagte den Staaten des kommunistischen Ostblocks die Teilnahme am Marshall-Plan.

Putin arf den USA vorgeworfen, seine Bemühungen um eine gemeinsame Strategie zur Beendigung des Blutvergießens in Syrien zu hintertreiben. Zugleich drohte er indirekt mit einer weiteren militärischen Eskalation. Sein Land zeige anders als die USA bislang Zurückhaltung. "Aber alles hat seine Grenzen. Wir könnten reagieren", sagte Putin, ohne seine Andeutung weiter auszuführen.

"Vereinbarungen mit Obama wurden hintertrieben"

Mit Blick auf die gescheiterten Verhandlungen zwischen den USA und Russland über eine Waffenruhe für Syrien, sagte Putin am Donnerstag im südrussischen Krasnaja Poljana: "Eine vereinigte Front zur Zerschlagung des Terrorismus ist nicht zustande gekommen." In Washington habe es Kräfte gegeben, die ihr Bestes gegeben hätten, damit die Vereinbarungen nicht verwirklicht würden, fügte Putin hinzu.

Putin verteidigte das vom Westen scharf kritisierte russische Vorgehen an der Seite von Machthaber Baschar al-Assad. Russland habe keine andere Option, als das "Nest von Terroristen" in Aleppo zu beseitigen, obwohl es dort auch Zivilisten gebe. Nicht nur dort gebe es aber zivile Opfer. Man müsse um die Opfer solcher Konflikte überall trauern, sagte er mit Hinweis auf getötete Zivilisten beim Kampf gegen die Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) im irakischen Mossul. "Die Glocken sollten für alle unschuldigen Opfer läuten, nicht nur für die in Aleppo."

Mit Blick auf andere Krisen in der Region kündigte der russische Staatschef militärische Zurückhaltung an. Gefragt, ob Russland ähnlich wie in Syrien auch in Libyen oder dem Irak eingreifen wolle, sagte er: "Nein, wir planen dies nirgendwo."

Der nach einer westrussischen Stadt benannte Debattierklub gilt als kremlnahe. Zu den jährlichen Treffen werden traditionell auch Ex-Politiker und Experten aus dem Ausland geladen, auch Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) zählte schon mehrmals zu den Gästen.

Fischer live im russischen TV

Die etwa viertelstündige Wortmeldung Altbundespräsident Fischers wurde am Donnerstagnachmittag live vom russischen Fernsehen übertragen. Er beklagte, dass sich die EU-Russland-Beziehungen nicht so entwickelt hätten, wie man dies vor 25 Jahren gehofft habe. Beide Seiten sollten sich der Wichtigkeit der Beziehungen bewusst sein.

"Die Evolution der NATO wird in Moskau anders als in Washington oder Brüssel gesehen. Und Russland sollte berücksichtigen, dass Aktionen im Zusammenhang mit Streitkräften, die nicht im Einklang mit dem Völkerrecht stehen, die europäische Öffentlichkeit irritieren", sagte Fischer. Er nannte die Krim als aktuelles Beispiel. Aleppo nannte er als Symbol dafür, wie schwierig es sei, Anti-Terror-Kampf und das Bombardieren unschuldiger Zivilisten voneinander zu unterscheiden.

Positivbeispiele

Fischer sah gleichzeitig aber auch positive internationale Entwicklungen und verwies auf das Nuklearabkommen mit dem Iran, das Pariser Klimaabkommen und die europäische Integration, die er "trotz aller Probleme" als eine Erfolgsgeschichte bezeichnete.

"Beim Fußball ist das nächste Match das allerwichtigste, in der Innenpolitik sind es die nächsten Wahlen, in internationalen Beziehungen sind die nächsten zehn Jahre die wichtigsten und schwierigsten zugleich", sagte Fischer. Er appellierte an die kollektive Verantwortung, den Frieden zu erhalten, Chancen wahrzunehmen, aus vergangenen Fehlern zu lernen und für eine positive Entwicklung in Zukunft zu arbeiten.

Heinz Fischer ist nicht der einzige österreichische Teilnehmer der diesjährigen Diskussionsveranstaltung, die 2016 zum bereits zum 13. Mal stattfindet. Während der Diskussion am Donnerstag, an der neben Wladimir Putin auch Finnlands Expräsidentin Tarja Halonen und der ehemalige südafrikanische Staatschef Thabo Mbeki teilnahmen, waren im Publikum auch der ehemalige Bundeskanzler Schüssel, der in Russland tätige Automobil-Manager Siegfried Wolf und der Innsbrucker Universitätsprofessor Gerhard Mangott zu sehen. (APA, dpa, Reuters, 27.10.2016)