Für China ist 2016 ein Jahr mit vielen Gedenktagen. Einige verschweigt die Regierung – wie den 50. Jahrestag des Ausbruchs der verheerenden Kulturrevolution. Andere lässt sie als Staatsakt feiern – wie die Erinnerung an 80 Jahre "Langer Marsch" von Maos Kommunisten. Doch an ein rundes Datum erinnert sich Peking nicht einmal mehr. Vor 30 Jahren führte sein Staatsrat die Sommerzeit ein.
Am 4. Mai 1986, einem Sonntag, war es so weit. Um zwei Uhr früh wurde die Turmuhr am Xidan-Telegrammamt um eine Stunde vorgestellt. Fünf Jahre lang verstellte China seine Uhren nach Sommerzeit. Dann beendete Peking abrupt das Experiment.
"Sparsamkeitsziel" verfehlt
Den Anstoß hatten zwei Wissenschafter gegeben. Xie Xingjian von der Pekinger Energiegesellschaft und Xu Shoubo aus der Akademie für Sozialwissenschaften errechneten, wie viel Strom und Geld das damals energiearme Land einsparen könnte, wenn es in den Sommermonaten seine Uhr vorstellt. Ihren zuerst "Sparsamkeitszeit" genannten Vorschlag unterbreiteten sie allen Ministerien, schrieben Berichte und machten Eingaben.
Fast vier Jahre wogte die Debatte, bis alle Staatsplaner bis zum Staatsrat das nun Sommerzeit genannte Vorhaben billigten. Die erste Runde dauerte 133 Tage, bis am 14. September die Uhren wieder zurückgestellt wurden.
Das befürchtete Chaos blieb aus. Doch nach drei Jahren Erfahrung mit der Sommerzeit zeigte sich, dass die Stromersparnis geringer als erwartet ausfiel. Die Zeitverschiebung brachte dagegen vielen Chinesen in dem riesigen Land Nachteile.
Die Volksrepublik hatte nach ihrer Gründung 1949 eine einheitliche Pekinger Standardzeit (UTC, also koordinierte Weltzeit plus acht Stunden) eingeführt. In der Provinz Xinjiang tief in Nordwestchina ging die natürliche innere Uhr der Einwohner bereits um zwei Stunden dieser Standardzeit voraus. Nun mussten sie noch eine Stunde früher in tiefer Nacht aufstehen. Ihr Stromverbrauch stieg an.
"Zeit ist Geld"
1991 ließ Peking zum letzten Mal die Uhren vorstellen. Der Staatsrat schaffte die Sommerzeit ab. Niemand beschwerte sich. Was machte eine Stunde mehr oder weniger schon aus? Nur die neuen Sonderwirtschaftszonen, wie Shenzhen oder Schanghai, wo das Reformgebiet Pudong entstand, hatten es eilig. Dort hingen die ersten Plakate: "Shijian shi jinqian" ("Zeit ist Geld").
Heute ist der Ausruf "Wo ist meine Zeit geblieben?" auch in China ein geflügeltes Wort. Anfang 2014 wurde Staatschef Xi Jinping bei einem Besuch in Russland gefragt, wie er seine vielen Termine in den Griff kriege. "Wo ist meine Zeit nur hin?", antwortete Xi. Sein Seufzer wurde zum Titel eines neuen Ratgebers in Pekings Buchläden: "Besseres Zeitmanagement für Parteifunktionäre". Die Sommerzeit wird darin mit keinem Wort erwähnt. (Johnny Erling, 29.10.2016)