Dreht sich die Politik im Kreis? Stecken wir in einer endlosen Schleife an Wiederholungen? Geht es bergauf oder bergab? Die 'endlose Treppe' des dänischen Künstlers Olafur Eliasson in München ist die einzige Treppe auf der Welt, auf der man ohne die Richtung zu wechseln hinauf und wieder hinunter gehen kann.

Foto: APA / dpa / Sven Hoppe

Leben wir in einer Zeitschleife, in der sich alles wiederholt? Warum wird im Österreich des Jahres 2016 von "Bürgerkrieg" geredet? Weil Strache das als seine rechte Kampfrhetorik missbraucht? Natürlich, aber das Erschrecken vom Altbundespräsidenten Heinz Fischer abwärts zeigt: Als gedankliche Möglichkeit ist es immer noch vorhanden.

Im Februar 1934 tobte in Österreich ein kurzer, aber blutiger Bürgerkrieg (500 Tote) zwischen den großen, bewaffneten Lagern der Ersten Republik: zwischen radikalen Sozialisten und christlich verbrämten Reaktionären.

Der Bürgerkrieg, den Strache – und die zahlreichen Poster in den Internetforen, auch auf "derStandard.at" – meinen, verläuft allerdings entlang anderer Linien: Die Bürgerkriegshysterie von heute bezieht sich auf einen herbeifantasierten Aufruhr der muslimischen Bevölkerung (viele davon in dritter Generation in Österreich). Oder, implizit, aber deutlich wahrscheinlicher, auf einen Gewaltausbruch der "echten Österreicher" gegen die Zugewanderten, vor allem die Flüchtlinge der letzten Zeit.

Wiederholt sich die Geschichte? Stecken wir in einer ihrer Endlosschleifen? Sind wir dazu verdammt, sie zu wiederholen, weil wir uns nicht an sie erinnert haben, wie der spanisch-amerikanische Philosoph George Santayana 1905 schrieb?

Parallelen zwischen damals und heute

In der Tat, es gibt Parallelen zwischen einigen Phänomenen der fatalen Dreißigerjahre – in Österreich, Europa, der Welt – und heute. Es herrscht seit mehreren Jahren Weltwirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit steigt. Ein katastrophaler Finanz-und Bankencrash wie 1931 (der übrigens von Österreich ausging) steht immer noch im Raum. Die extreme Rechte befindet sich fast überall in Europa im Aufstieg (auch in den USA von damals gab es protofaschistische Tendenzen – wenn sie auch nicht bis vor das Präsidentenamt kamen wie Donald Trump). In Osteuropa haben – wie in den Dreißigern – autoritäre, nationalistische Regime die Macht übernommen.

Man kann den Bogen noch weiter spannen. Es gab schon vor mehr als hundert Jahren eine Globalisierung – und eine massive Reaktion dagegen. Mit dem technischen Fortschritt und dem Kolonialismus begann die Welt zu schrumpfen. Weltkarten von damals zeigen weite rote und blaue Flächen im Nahen Osten, in Asien und in Afrika. Das waren die riesigen britischen und französischen Kolonialreiche.

Von dort – und mit dem gleichzeitigen Aufstieg der USA, aber auch von Ländern wie Argentinien, das zum größten Fleischproduzenten der Welt wurde – ging ein gewaltiger Aufschwung des Welthandels aus. Das ging mit dem Ersten Weltkrieg jäh zu Ende. Eine Ursache dafür war, dass einer der großen Player – das technisch-militärisch progressive wilhelminische Deutschland – sich benachteiligt fühlte und als kommende Welt seinen "Platz an der Sonne" forderte.

Von der Gobalisierung benachteiligt

Der Aufstand gegen die zweite Globalisierung wird nicht mehr wie bei der ersten von Staaten getragen, die glauben, benachteiligt zu sein, sondern von Bevölkerungsgruppen, die oft zu Recht glauben, von der Globalisierung benachteiligt zu sein. Unterstützt werden sie von sehr linken und sehr rechten Gruppen, denen die Marktwirtschaft zuwider ist.

Gleichfalls im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert gab es bereits eine aggressive islamistische Bewegung, die den Kampf gegen den verderbten Westen führte. Im Sudan gab es ein IS-ähnliches "Kalifat" unter dem fanatischen Muslimführer "Mahdi" (der Rechtgeleitete), der die britisch-ägyptische Herrschaft bekämpfte. In der Entscheidungsschlacht bei Omdurman 1898 kämpfte der junge Winston Churchill physisch mit.

1928 wurde in Ägypten die Muslimbruderschaft von Hasan al-Banna gegründet, heute ist sie die mächtigste sunnitisch-islamistische Bewegung weltweit. Al-Bannas Kernaussage: "Gott ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Jihad ist unser Weg. Der Tod für Gott ist unser nobelster Wunsch." Kommt bekannt vor?

Damals wie heute ist der Islamismus – gewalttätig oder nicht – eine Reaktion auf die Überlegenheit des Westens. Dass die etwas mit Modernität und freiem Denken zu tun hat und daher wohl kaum mit einer Rückkehr ins 7. Jahrhundert (Salafismus) beantwortet werden kann, ist die Tragödie der heute scheiternden muslimischen Gesellschaften und Staaten.

Nicht übertreiben

Es gibt also große Linien, es gibt Konstanten. Allerdings sollte man die Gleichsetzung nicht übertreiben. Die Wirtschaftskrise der Dreißigerjahre war um Potenzen schlimmer als die heutige. Das BIP der USA reduzierte sich um ein Drittel, die Arbeitslosigkeit in Deutschland betrug zeitweilig 25 Prozent. Während in Österreich Arbeitslose nach einer bestimmten Zeit "ausgesteuert" wurden (keine Unterstützung mehr bekamen), existiert heute ein dichtes soziales Netz.

Die Umverteilung sorgt für eine der gleichmäßigsten Einkommensverhältnisse in Europa. Das Österreich von damals war ein bitterarmer Staat und nicht eines der vier reichsten Länder Europas. Die Existenz der EU ist der Beweis dafür, dass die Eliten aus der Katastrophe von 1931 bis 1945 gelernt hatten.

Gelernt haben aber auch die autoritären Führer und Diktatoren. Brutale, nackte Massengewalt gegen die Untertanen ist zumindest in Europa und Umgebung nicht mehr angesagt, die Putins, Orbáns, Erdogans regieren mit Zustimmung eines ruhiggestellten, von jeder kritischen Stimme "befreiten" Volkes.

Österreichische Konstanten

Auch das Österreich der Zweiten Republik hat seine Konstanten, das haben wir in den letzten Jahren gelernt. Es gibt hier eine konservative, wenn man so will: rechte Mehrheit, unabhängig davon, wer an der Regierung ist. Die dreimaligen absoluten Mehrheiten der SPÖ unter Bruno Kreisky waren auch durch seine versöhnliche Haltung gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten möglich.

Dass die FPÖ unter Strache trotz des katastrophalen Scheiterns unter Haider zur stärksten Partei (in den Umfragen) aufstieg, liegt an einer Mentalität des wütenden Untertanen vieler Österreicher. Sie wollen "die da oben" bestrafen, auch wenn sie sich dabei selbst schaden. Die Frage ist, ob sie vor der autoritären Versuchung noch rechtzeitig zurückschrecken, wenn sie merken, dass Strache und Co sie in eine Bürgerkriegsatmosphäre der Dreißigerjahre zurückführen möchten. (Hans Rauscher, 29.10.2016)