STANDARD: Herr Rosei, vor unserem Gespräch anlässlich der US- Präsidentschaftswahlen: Würden Sie sich als Amerikakenner bezeichnen?

Rosei: Das kommt darauf an, aus welcher Perspektive man es sieht. Ich habe im Lauf meines Lebens zusammengenommen etwa zwei Jahre in den USA verbracht, insofern kenne ich die Vereinigten Staaten natürlich besser als viele andere. Andererseits ist das Land so groß, dass es schwerfällt, sich als "Kenner" zu bezeichnen.

STANDARD: Ihre letzten Eindrücke vom Wahlkampf Donald Trump gegen Hillary Clinton?

Rosei: Ich habe mich darüber geärgert, dass der Aufruhr über Trumps frauenfeindliche Äußerungen so viel größer war als der über vieles andere, was er zuvor gesagt hat: frivole Äußerungen über Atombomben, Zaun gegen die Mexikaner und so fort. Das heißt selbstverständlich nicht, dass die öffentliche Empörung wegen seines Frauenbildes nicht gerechtfertigt wäre.

STANDARD: Welche Eindrücke haben Sie denn von Ihrem letzten USA-Aufenthalt mitgenommen?

Rosei: Ich war heuer im Frühjahr drei Monate dort, in einer kleinen Universitätsstadt zwischen Detroit und Chicago. Ich bin dieses Mal ungern hingefahren, weil die Schikanen gegenüber Ausländern größer werden. Ein Eindruck, den ich hatte, war der, dass die kleinen Städte im Mittleren Westen fast alle total hin sind.

STANDARD: Was ist Ihnen da konkret aufgefallen?

Rosei: Ich habe eine längere Reise durch Ohio und Kentucky gemacht und war doch konsterniert von der Kaputtheit, die da in the middle of nowhere herrscht. Die Ökonomie dreht sich um Marihuana, Crystal Meth und Hahnenkämpfe. Man merkt die Kaputtheit an den Trailer-Homes, daran, dass in der Main Street alles zugenagelt ist, und an den Supermärkten, Family Dollar zum Beispiel, die billigsten der billigen, wo es keine einzige Frischware mehr gibt und alles nach Plastik riecht. Um in diesen Orten noch eine öffentliche Bibliothek zu finden, muss man schon Glück haben.

Andererseits ist Amerika aber doch immer wieder völlig unberechenbar, und plötzlich kommst du aus einer restlos verkommenen Gegend wieder in ein wunderschönes Hügelland. Das ist wie bei einer guten Erzählung: Man weiß nie, was als Nächstes kommt.

STANDARD: Amerika als literarische Inspiration ...

Rosei: Nun ja, Lima in Ohio oder Gary in Indiana, in der Nähe von Chicago, das schaut aus wie eine Stadt bei Dickens, wie ein albtraumhaftes Mürzzuschlag. Die Wahrscheinlichkeit für einen Bewohner, von dort wegzukommen, ist null Komma Josef.

Aber die Frage der sozialen Ungleichheit, die dem ganzen Elend zugrunde liegt, ist nicht nur ein amerikanisches Problem, sondern genauso ein europäisches. Selbst glühende Befürworter des Marktes sagen, dass eine exorbitante Ungleichheit nicht gut sein kann, weil durch die Ungleichheit der Markt selbst beschädigt wird. Mit Gerechtigkeit hat das vorerst einmal nichts zu tun. Bernie Sanders hat gemeint, dass die von den Reichen und Ultrareichen gehorteten Gelder angezapft werden und wieder in den Geldkreislauf hineinkommen müssen. Aber die Bürger und Kleinbürger meinen, dass das Eigentum nie und nimmer angetastet werden darf. Sobald einmal das Eigentum ins Spiel kommt, ist die Diskussion sofort aus.

STANDARD: Wie reagieren die Leute auf diese missliche Situation?

Rosei: Die Leute sind enttäuscht und verbittert, aber sie gehen in die falsche Richtung, in Richtung Unterhaltung, wie Donald Trump sie bietet. Er sagt ja selbst: "I have to entertain millions." Er fühlt sich als Entertainer. Am besten hat mir gefallen, wie er zu Anderson Cooper von CNN gesagt hat: "Was willst du von mir? Ich bringe dir Quote!" So ist der Wahlkampf aufgezogen, wie der Superbowl. Trump hat einen hohen Unterhaltungswert – aber hoffentlich gewinnt er nicht.

Ich habe mit vielen Leuten geredet: Am Anfang haben die sogenannten Experten Trump ja überhaupt keine Chance gegeben. "Ja, aber er wird in Iowa straucheln", hieß es da, und "Ja, aber er wird in New Jersey straucheln", und trotzdem ging es immer weiter. Vor allem glaube ich, dass Teile der Wall Street auf Trump eingeschwenkt sind, obwohl sie zuerst wegen seiner isolationistischen Politik gegen ihn waren.

Bill Gates war zunächst der Einzige, der gesagt hat: Die USA profitieren von der Globalisierung und können nicht eine Politik begrüßen, die isolationistisch ist. Der andere Teil von Silicon Valley verdient so viel Geld mit dem FBI und den Geheimdiensten, dass er eine undurchsichtige Position eingenommen hat.

STANDARD: Sie sind offenkundig kein Fan von Donald Trump.

Rosei: Ich halte die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Krieg kommt, wenn Trump Präsident wird, für sehr hoch. Ob er den Krieg selbst vom Zaun bricht oder in ihn hineinstolpert, das ist dann noch die Frage. Aber die Rabulistik ist ja durchwegs Säbelrasseln: Er wird die Chinesen in zehn Minuten erledigen und so fort.

STANDARD: Und wie halten Sie es mit Hillary Clinton?

Rosei: Sie ist das kleinere Übel. Irgendwo habe ich einmal den lustigen Satz gehört: You have the choice – Pepsi or Coke. Die Hillary muss das Kunststück vollbringen, ihre gespaltene Anhängerschaft zu einen. Sie muss sich zwischen links und rechts durchzaubern. Ich würde mir wünschen, dass sie das Bildungswesen als eines der größten Probleme Amerikas in Angriff nimmt: Wenn man kein Geld hat, hat man keine Bildung, auf die Dauer ist das untragbar. Dieses Argument stelle ich bei der Diskussion mit Leuten, die für Gerechtigkeit nichts übrig haben, immer in den Vordergrund, weil das verstehen sie dann ja wenigstens. Wie wichtig ein gut funktionierendes Bildungssystem ist, muss gerade uns Österreichern bewusst sein: Wir haben ja nur das bisserl Wasserkraft, und immer nur Mozart wird nicht gehen, so viele Mozartkugeln braucht die Welt nicht. Auf Deutsch gesagt: Human Ressources are our asset, und wenn wir die nicht pflegen, werden wir ins Hintertreffen kommen, darüber wird eh dauernd gredt.

STANDARD: Wollen Sie Ihre amerikanischen Erfahrungen in Ihrem literarischen Werk verwerten?

Rosei: Nein, dazu weiß ich zu wenig. Dazu müsste man das Wetter beschreiben können: Wie schaut ein Kastanienbaum im Sommer aus, wie betritt man ein Restaurant, wie ist die Rolle der Frauen, was ist bei einem Todesfall los, wie reagieren die Leute darauf – natürlich habe ich zu all dem eine Meinung, aber darüber muss man viel mehr wissen. Die sinnlichen Details brauchen Sie als Grundlage, nicht nur Papierwissen.

Für einen Normalverbraucher bin ich ein Amerikakenner, aber als Schriftsteller, das ist wieder eine ganz andere Sache. Auch die Einstellung zum Pathos ist in Amerika eine völlig andere als bei uns in Europa. Wir, durch unsere Erfahrungen mit dem Hitler und dem Nationalsozialismus, weichen sofort zurück, wenn jemand pathetisch wird. Wenn die Amerikaner die Hymne singen mit der Hand auf dem Herz, wirkt das auf mich grotesk, aber auch meine demokratischen Freunde haben kein Problem damit. Das muss man eben empathisch nachvollziehen.

Ich versuche auch immer, den amerikanischen Humor zu erlernen, indem ich irgendwelche Metaphern und Wortspiele erfinde und frage, wie die klingen, und dann höre ich: "Oh, this sounds kind of weird, Peter" (lacht).

STANDARD: Welche Lichtblicke sehen Sie in Bezug auf Amerika?

Rosei: Es gibt in den USA eine große Elite, der Brain-Drain aus allen Staaten der Welt funktioniert reibungslos (lacht), und natürlich der Optimismus, die Haltung "Wir werden das schon irgendwie hinkriegen". Die Überzeugung, dass "jeder etwas werden kann", verfängt aber bei den hochgradig verschuldeten Studenten nicht mehr. Es stimmt ja auch nicht. Die digitale Revolution macht viele Arbeitsplätze überflüssig. (Christoph Winder, 30.10.2016)