Nationalfeiertag in der Türkei: Tagsüber Paraden, abends Dekrete. Präsident Tayyip Erdoğan lässt das Land weiter von angeblichen Gülenisten säubern.

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Ankara/Athen – Nach Prunk und Paraden endete der türkische Nationalfeiertag für Tausende von Beamten mit einer bitteren Nachricht. Im Amtsblatt ließ Staatschef Tayyip Erdoğan am Samstagabend seine zwei neuesten Dekrete veröffentlichen. Erdoğan regiert die Türkei seit der Verhängung des Ausnahmezustands vor drei Monaten mit Erlassen, die er auch von den Ministern seiner Regierung unterzeichnen lässt. Dieses Mal verfügte der Staatschef gleich auf einen Schlag die Entlassung von mehr als 10.000 Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Ein Rekord bei den seit dem Putschversuch vom Juli andauernden Säuberungen im türkischen Staat.

Krankenschwestern, Chauffeure, Gefängniswärter, Lehrer, Tierärzte im Dienst des Landwirtschaftsministeriums – alle sollen dem Netzwerk des Predigers und einstigen Erdoğan-Verbündeten Fethullah Gülen angehören oder aber mit der kurdischen Untergrundarmee PKK in Verbindung stehen. Gülen wird für den gescheiterten Putsch vom 15. Juli verantwortlich gemacht. Die PKK wurde zusätzlich in das Regelwerk des Ausnahmezustands gepackt im Rahmen eines allgemeinen "Kampfs gegen den Terror".

Am Pranger

Die Entlassenen sind wie immer namentlich auf Listen angeführt, die von den Ministerien oder anderen Behörden zusammengestellt wurden. Dies dürfte eine neue Anstellung an einem Arbeitsplatz in der Türkei zusätzlich erschweren. Die Entlassungen sind in der Regel auch mit dem Verlust von Pensionsansprüchen verbunden. Die Zahl der gefeuerten Staatsbediensteten – Soldaten und Polizisten inklusive – soll mittlerweile bei 105.000 liegen; dies gab am Sonntag Turkey Purge an, ein Online-Informationsdienst, der nach dem 15. Juli von Journalisten gegründet wurde, die in den Berichten nicht namentlich aufscheinen. Regierungstreue Medien nennen nun die Zahl von insgesamt 22.000 Entlassungen.

Unter den dieses Mal "gesäuberten" Beamten sind auch zwei hohe Diplomaten – der bisherige türkische Botschafter in Kroatien, Ahmet Tuta, und der türkische Generalkonsul in Jerusalem, Mustafa Sarniç. Beiden wirft das Außenministerium offenbar vor, Gülenisten zu sein.

Professoren gekündigt

Vor allem aber holte die politische Führung in Ankara mit den neuen Dekreten zum Schlag gegen die Universitäten aus. 1267 Professoren, Dozenten und anderes Hochschulpersonal sind landesweit von staatlichen Universitäten entlassen worden. Betroffen sind angebliche Anhänger des islamistischen Netzwerks, aber auch Unterzeichner der Petition "Akademiker für den Frieden" vom Jänner dieses Jahres. Erdoğan hatte die Hochschullehrer, die sich gegen die Armeeeinsätze in den kurdischen Städten wandten, damals als Verräter bezeichnet. Ein großer Teil der Entlassungen betraf die Dicle-Universität in Diyarbakir oder die Atatürk-Universität in Gülens Geburtsprovinz Erzurum; aber auch Istanbuls große staatliche Hochschulen wurden ins Visier genommen, ebenso wie die als säkular-national geltende 9.-September-Universität in Izmir.

Per Dekret aufgehoben wurde zudem das Wahlverfahren für Hochschulrektoren. Diese werden nun nicht mehr in einer ersten Stufe vom Lehrpersonal gewählt, sondern gleich vom türkischen Hochschulrat vorselektiert und dann Erdoğan zur Auswahl vorgelegt. Das Bildungsministerium wiederum feuerte in einer weiteren Welle 2219 Beamte – mehrheitlich Lehrkräfte an Schulen.

Mit den jüngsten Notstandsdekreten verfügte der Präsident auch erneut die Schließung regierungskritischer Medien. Nochmals zehn Zeitungen, darunter das letzte landesweite kurdische Blatt Özgür Gündem, wurden zwangseingestellt, sowie zwei Nachrichtenagenturen; betroffen ist hiervon die wichtigste prokurdische Agentur Dicle. Auch das seit 25 Jahren bestehende Magazin Evrensel Kültür darf nicht mehr erscheinen. Die Aufzeichnung von Gesprächen zwischen Anwälten und Inhaftierten ist zudem nunmehr auch legal, ebenso die Abschiebung von Ausländern ohne Richterbeschluss. Staatschef Erdoğan wiederum versprach bei einer Rede in Ankara am Samstag die Wiedereinführung der Todesstrafe. (Markus Bernath, 30.10.2016)