Rettungseinsatz beim ersten der schweren italienischen Erdbeben in Amatrice im August. Die Software von Sail Labs zeigt den Helfern durch Auswertung von Tweets, wo die Not am größten ist.

Foto: AFP / Filippo Monteforte

Johannesburg/Wien – Bei Katastropheneinsätzen wie bei den jüngsten schweren Erdbeben in Mittelitalien fehlt den Rettungsorganisationen vor allem eines: genaue Informationen über den Ort und das Ausmaß der Schäden. Denn wenn man erst vor Ort herausfinden muss, wo Hilfe am dringendsten benötigt wird, geht wertvolle Zeit verloren – und die Hoffnung auf Rettung von Opfern.

Dieses Problem verschafft einem Wiener IT-Unternehmen eines seiner Geschäftsfelder. Sail Labs Technology hat eine Software für eine präzise Beobachtung von allen traditionellen und sozialen Medien, mit der man einen guten Überblick über die Lage erhält. Bei Erdbeben ist Twitter die wichtigste Informationsquelle.

Was große Tweet-Dichte bei Katastrophen bedeutet

Sail-Labs-Manager Mark Pfeiffer, der sich Chief Visionary Officer nennt, zeigt im Standard-Gespräch auf seinem Laptop eine Karte der mittelitalienischen Region Marken, wo vergangenen Mittwoch die Erde zum ersten Mal bebte. Auf ihr sind jene Orte zu sehen, an denen die meisten Twitter-Meldungen mit Ortung innerhalb der ersten 48 Stunden verfasst wurden. Bei großer Tweet-Dichte können Rettungskräfte mit besonders schweren Schäden rechnen, sagt Pfeiffer.

Doch mittendrin in einem bewohnten Gebiet mit Ortschaften ist klar ein weißer Fleck zu sehen. Pfeiffer: "Das ist ein ganz schlechtes Zeichen, denn das heißt, dass die Infrastruktur für Nachrichten zerstört wurde. Wenn inmitten eines Schadengebiets etwas fehlt, ist das ganz bitter."

Sail Labs betreibt mit dem österreichischen Roten Kreuz ein Forschungsprojekt, um diese Technologie weiter zu verfeinern, und verhandelt darüber auch mit dem Bundesheer. Die wichtigsten Kunden des Unternehmens und seiner Media-Mining-Software aber sind Regierungen und ihre für die innere und äußere Sicherheit verantwortlichen Behörden: das Militär, Verteidigungs-, Außen- und Innenministerien sowie – worüber das Unternehmen nicht so gern spricht – Geheimdienste.

Durchbruch vor 13 Jahren

Sail Labs wurde 1999 gegründet und setzt mit 22 Mitarbeitern mehr als fünf Millionen Euro im Jahr um. Vor 13 Jahren gelang der Durchbruch mit einem Großauftrag für das US-Außenministerium, den Sail Labs in einer offenen Ausschreibung gewonnen hat. In Johannesburg, wohin Pfeiffer mit Außenminister Sebastian Kurz und Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl reiste, wurde ein Vertriebsabkommen mit der Airbus-Tochter GEW Technologies, die selbst Kommunikations- und Überwachungssysteme entwickelt, abgeschlossen.

GEW nimmt die Sail-Labs-Software in ihr weltweites Produktangebot auf; das soll dem Unternehmen nicht nur große neue Märkte erschließen, sondern hat auch den Vorteil, dass das Management nicht erfährt, wer die Kunden sind. Oft sind es autoritäre Regierungen, die die Aktivitäten der Opposition kontrollieren wollen.

Pfeiffer weist darauf hin, dass Sail Labs nur öffentliche Quellen verarbeitet – Twitter, öffentliche Facebook-Seiten, TV-und Radioberichte sowie alle Print- und Onlinemedien. "Alles hat jemand bewusst in die Öffentlichkeit hinausgetragen, wir zapfen etwa keine privaten Facebook-Seiten an", sagt er. Die Medien werden in allen Sprachen durchsucht und die Meldungen dann von der Software übersetzt, chronologisch, geografisch und inhaltlich geordnet – und optisch leicht verständlich aufbereitet. Anders als bei Google könne der Kunde die Daten dann selbst weiterverarbeiten.

Prognosewerkzeug für Krisen

Gerade in politischen Krisen sei Media Mining ein wichtiges Analyse- und Prognosewerkzeug. Je größer die Spannung, desto mehr Meldungen tauchen auf dem Bildschirm auf. Allerdings nicht immer, sagt Pfeiffer. Kurz vor einer dramatischen Wendung nehme die Zahl der Einträge häufig unvermittelt ab.

Das war etwa vor dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch im Februar 2014 zu sehen. Auf Pfeiffers Bildschirm zeigt in den drei Tagen davor die Kurve eine deutliche Delle. Auch bei früheren Ereignissen in der Ukraine sei dieses Muster zu beobachten. "Ob das daran liegt, dass gewisse Mitspieler sich auf das Kommende vorbereiten oder dass sie sich einfach nicht mehr auskennen und deshalb weniger melden, wissen wir nicht", sagt Pfeiffer. "Aber eine solche plötzliche Ruhe deutet auf den kommenden Sturm." (Eric Frey, 31.10.2016)