Komponist Georg Friedrich Haas schrieb eine Kinderoper, die von Netzzeit quasi als Präludium zum Festival Wien Modern gezeigt wird.

Foto: Wagner-Strauss

Wien – Bevor sich die neue Ausgabe von Wien Modern ab kommendem Donnerstag, dem 3. November, den letzten Fragen widmet ("Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und wo zum Teufel sind wir hier überhaupt?"), gibt es im Dschungel Wien schon einen Vorspann für die jüngsten Festivalbesucher, bei dem die "erste" und doch folgenschwere identitätsstiftende Frage "Wer bin ich?" für Kinder ab vier – und die, die es einmal waren – gestellt wird.

Alles klingt dabei nach einem märchenhaften Projekt. Für seine "Vertonung des Bilderbuchs" Das kleine Ich-bin-ich von Mira Lobe und Susi Weigel hat einer der prominentesten österreichischen Komponisten, Georg Friedrich Haas, gewissermaßen ein Destillat seiner musikalischen Mittel hergestellt.

Er stellt seine ineinander verflochtenen Endlosschleifen, die den unmöglichen Grafiken von M. C. Escher ähneln, die magischen Obertonakkorde und vielfältigen instrumentalen Klangzaubereien, die stets absolut plastisch, aber nie einfach nur "kindgerecht" zurechtgebogen wirken, in den Dienst der Geschichte jenes bunten Tieres, das da über die bunte Blumenwiese spaziert und sich plötzlich die Frage stellt, wer es eigentlich ist.

"Wer nicht weiß, wie er heißt, wer vergisst, wer er ist, der ist dumm! Bumm." Lustvoll ahmt das Ensemble den lautmalerischen Effekt nach – und es ist nicht irgendein Ensemble, sondern das beste; das Klangforum Wien unter dem Dirigenten Bas Wiegers, der das Stück wie alle Beteiligten gleich ernst nimmt wie jede Produktion für Erwachsene.

Hat das bunte Tier hier den Laubfrosch getroffen, wird es noch allerhand anderem Getier begegnen, das allesamt darauf beharren wird, dass es anders ist als die anderen. Die szenische Umsetzung von Michael und Nora Scheidl (Inszenierung bzw. Ausstattung) nimmt ihren Ausgang im Bilderbuch, öffnet aber die Schleusen zu den Fantasiewelten der Bühne, die im Wesentlichen Peter Gruber als Erzähler und Franziska Adensamer als das Ich-bin-ich bevölkern.

Das bunte Tier ist in Gestalt der Puppe und in jener der Schauspielerin doppelt vorhanden. Und auch bei den anderen Wesen verfließen die Grenzen zwischen Darstellern und Puppen auf originelle Weise. Es hätte kaum ein besseres Sujet gefunden werden können als das kindliche Dramolett um das Finden der Identität, um Wien Modern in diesem Jahr einzuleiten – aber auch um jene Kinder zu begrüßen, die noch nicht so lang in Österreich sind. Deswegen gibt es je eine Vorstellung auf Farsi und auf Arabisch, die – teilweise dank gespendeter Eintrittskarten – auch Flüchtlingskindern zur Verfügung stehen. (Daniel Ender, 31.10.2016)