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"Was in der Gesellschaft akzeptabel ist und was nicht, das unterliegt einem dramatischen Wandel", sagt der Republikaner Mickey Edwards. "Dort setzt Trump an, wenn er die politische Korrektheit verdammt."

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Die Suche nach dem gemeinsamen Nenner kann in Washington schnell zum Ding der Unmöglichkeit werden. Mickey Edwards (li.) und Steven Horsford kennen die Probleme aus eigener Anschauung.

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STANDARD: Donald Trump, der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, lebt vom Misstrauen gegenüber Washington, gegenüber dem politischen Establishment. Woher kommt dieser Argwohn der amerikanischen Wähler?

Edwards: Seit dieses Land existiert, gibt es ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Staat, gegenüber einer zentralisierten Regierung. Darauf basiert ja unser gesamtes Verfassungssystem. Und obwohl ich Trump für einen Populisten halte, so muss ich doch sagen: Er hat recht, wenn er die Tatsache zum Thema macht, dass viele Amerikaner im Zuge der Globalisierung gut bezahlte Jobs verloren haben. Die Leute schauen sich an, was die Regierung in den vergangenen Jahrzehnten geleistet oder eben nicht geleistet hat. Und sie kommen zu dem Schluss: So funktioniert es nicht. Unsere Jobs wandern ab, unsere Infrastruktur vergammelt, im Kongress wird kein Gesetz mehr verabschiedet, das uns etwas bringt. Sie wollen das System kräftig durchrütteln, damit es wieder funktioniert. Nur finde ich, dass man das System nicht mit einem Donald Trump durchrütteln sollte.

STANDARD: In diesem Wahlkampf um das Weiße Haus scheint das politische Klima so vergiftet zu sein wie lange nicht. Was muss geschehen, um das Land nach der Wahl wieder zusammenzubringen, zu versöhnen?

Edwards: Wenn Hillary Clinton gewinnt, hat sie zumindest – wie auch ihr Ehemann Bill – einige Erfahrung darin, mit der Opposition zusammenzuarbeiten. Durchaus möglich, dass sich da etwas tut. Auch Paul Ryan, dem republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, traue ich zu, dass er sagt: Okay, lasst uns einen gemeinsamen Nenner finden.

Horsford: Ich gehörte zu einer Gruppe von Abgeordneten – Demokraten wie Republikanern -, die sich im Geheimen trafen, um zu beraten, wie man Gesetzesentwürfe durchs Parlament bekommt, etwa Novellen zur Verbesserung der Infrastruktur. Unsere Fraktionsspitzen wollten nicht, dass wir zusammenkamen. Washington ist zu parteiisch, zu viel hängt am Geld. Die Abgeordneten verbringen zu viel Zeit damit, Spendengelder aufzutreiben, statt sich Sachthemen zu widmen. Wir haben viele Kongressmitglieder, die Probleme lösen wollen – aber das System hat es nicht zugelassen. In dieser Institution wird man nicht dafür belohnt, dass man Kompromisse anstrebt. Hoffentlich ändert sich das; mit neuen Leuten an der Spitze ebenso wie mit der um sich greifenden Einsicht, dass etwas getan werden muss.

STANDARD: Auch Barack Obama ist 2008 gegen ein nicht funktionierendes Washington angetreten. 2012 war es Mitt Romney, der in diese Kerbe schlug. Aber Populisten hatten damals keine Chance, obwohl die Wirtschaftszahlen schlechter waren als heute. Warum kann Trump diesmal so auftrumpfen?

Edwards: Wenn Trump die Political Correctness attackiert, spricht das viele Menschen an. Sozial und kulturell gibt es vieles, was sich rasant verändert. Wenn jetzt sogar zur Debatte steht, dass man die Toilette, auf die man geht, danach auswählt, wie man selber sein Geschlecht definiert, gefällt das vielen nicht. Was in der Gesellschaft akzeptabel ist und was nicht, das unterliegt einem dramatischen Wandel. Dort setzt Trump an, wenn er die politische Korrektheit verdammt. Daraus wird dann: Seht her, er spricht offen aus, was wir uns nur zu Hause zu sagen trauen! Dieser Mann ist einer von uns! Darauf aufbauend hätte er auch sagen können, ich bin für mehr Freihandel, statt den Freihandel zum Teufel zu wünschen. Seinen Fans wäre es egal gewesen; für sie ist er die Person, der sie vertrauen. Das erklärt seine Stärke. Er verspricht die Vergangenheit zurückzuholen, und das kommt an bei denen, die sich vom Wandel überrollt fühlen.

Horsford: Es hat aber auch etwas mit einer Hypothek unserer Geschichte zu tun, dem Rassismus. An dem Tag, an dem Obama seinen Amtseid ablegte, gab es Leute, die es als ihre wichtigste Aufgabe ansahen, ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Trump macht es sich zunutze, das Bestreben, dem ersten afroamerikanischen Präsidenten der Vereinigten Staaten die Legitimation abzusprechen. Er war es, der das Birther Movement anführte, jene Bewegung, die behauptete, Obama sei gar nicht in den USA geboren. Donald Trump hat sich eines diffusen Gefühls bedient: der Angst vor dem Wandel. Die demografische Struktur ändert sich von Jahr zu Jahr, die heutigen Minderheiten werden in absehbarer Zeit die Mehrheit bilden. Obama symbolisiert diesen Wandel. Und manche Leute wollen nicht nur rückgängig machen, was in den letzten acht Jahren an Fortschritten erzielt wurde. Sie wollen die Uhr am liebsten um fünfzig Jahre zurückdrehen. (Frank Herrmann, 3.11.2016)