Bereits beim Beben in der Nacht auf Mittwoch kam es in Norcia zu schweren Beschädigungen.

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Rom – Die Bewohner Mittelitaliens haben neuerlich eine Nacht voller Angst erlebt. Ein Nachbeben Donnerstag früh erreichte nach Angaben italienischer Medien eine Stärke von 4.8. Das Zentrum des Erdbebens lag in der Provinz Macerata. Tausende, die die Nacht in Notunterkünften verbrachten, wurden geweckt. Zunächst lagen keine Berichte über größere Schäden vor, so der Zivilschutz.

Die Lage der Obdachlosen wird auch durch eine Schlechtwetter-Front in der Region erschwert. 7.000 Menschen zogen in leere Hotels an der Adria, die zur Verfügung gestellt wurden. Viele andere wollen jedoch ihre Gemeinden nicht verlassen. Der italienische Präsident, Sergio Mattarella, hatte am Mittwochnachmittag die vom Erdbeben zerstörte Gemeinde Norcia in Umbrien besucht. Er drückte den Bewohnern der Kleinstadt sein Mitgefühl aus und versprach einen raschen Wiederaufbau.

Die schweren Beben haben die Erdoberfläche auf 1.100 Quadratkilometern deformiert, was aus einer Auswertung von Satellitenbildern hervorgeht. Am äußersten Rand des Bereichs habe sich der Erdboden um rund drei Zentimeter abgesenkt, im Inneren – in der Gegend um das Dorf Castelluccio bei Norcia – um bis zu 70 Zentimeter. Seit dem verheerenden Erdstoß am Sonntag, der schwere Schäden anrichtete, haben mehr als 1.100 Nachbeben die ohnehin schon verwüstete Region erschüttert. Fast 20 davon hatten eine Stärke von über 4, teilte die nationale Erdbebenwarte INGV mit. Es sei ein "halbes Wunder", dass es bei einem Erdbeben mit einer Magnitude von 6,5, wie jenem am Sonntag, zu keinen Todesopfern wie beim Erdstoß im August gekommen sei, sagte Italiens Premierminister Matteo Renzi.

Geld und Wille vorhanden

Inzwischen will die Regierung mit der Planung des Wiederaufbaus beginnen. Das Wirtschaftsministerium in Rom schätzt, dass die öffentliche Verwaltung 2017 sechs Milliarden Euro für die Stabilisierung öffentlicher Gebäude und den Wiederaufbau ausgeben wird. Hinzu will die Regierung mit einem am Freitag geplanten Dekret weitere Finanzierungen für den Wiederaufbau locker machen. Damit sollen die Abläufe vereinfacht werden, mit denen die Gemeinden den Wiederaufbau finanzieren. Wenn nötig, sei seine Regierung bereit, in Brüssel mehr Defizitflexibilität zu beanspruchen.

Zu diesem Schritt werde sich seine Regierung entschließen, sollten mehr Gelder als geplant für den Wiederaufbau notwendig werden. Auf drei Milliarden Euro werden allein die Schäden für das Kulturerbe Mittelitaliens geschätzt. Die Leiterin des Denkmalschutzes in der mittelitalienischen Region Umbrien, Marica Mercalli, sagte im Interview mit der Tageszeitung "La Stampa", dass Italien Hilfe aus dem Ausland für die Rettung seiner Kulturschätze benötige. "Wir stehen vor einem epochalen Desaster. Ohne Hilfe aus dem Ausland werden wir es nie schaffen. Wir brauchen Geld und Personen, die uns helfen",

Mercalli drängt unter anderem auf Hilfe für den Wiederaufbau der Kathedrale des Heiligen Benedikt im umbrischen Norcia, dem "Schutzpatron Europas, wie Renzi sagte. Lediglich die Fassade ist von der im 14. Jahrhundert errichteten Kirche ist übrig geblieben. 1.500 Werke wurden bereits aus zerstörten Kirchen und Museen im Erdbebengebiet geholt und in Sicherheit gebracht. Kulturminister Dario Franceschini versprach seinen vollen Einsatz für die Rettung der Kunstschätze. Über 5.000 Hinweise auf Schäden seien in Rom eingegangen, meldete das Kulturministerium.

Die renommierte Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" appellierte an Unternehmer und wohlhabende Bürger, die Restaurierung von Kirchen, Museen und Bibliotheken zu finanzieren. "Das wäre ein Weg, um dem Land etwas zurückzugeben", so der Kommentator Pierluigi Battista. Mit gutem Beispiel geht der italienische Modeunternehmer und "Kaschmirkönig" Brunello Cucinelli voran. Der Eigentümer des gleichnamigen börsennotierten Modekonzerns mit Wurzeln in der Region Umbrien kündigte einen Beitrag für den Wiederaufbau des zerstörten Benediktiner-Klosters in Norcia an. (red, APA, 3.11.2016)