Gesprayt wurde dieser Smiley im dritten Bezirk – nun strahlt sein Lächeln in Anna-Sophie Bergers Ausstellung "Places to fight and to make up" im Mumok.

Foto: Mumok / Klaus Pichler

Künstlerin und Lehrende: Anna-Sophie Berger.

Foto: mumok / Klaus Pichler

Wien – Jedes Ding hat viele Bedeutungen. Je nachdem, wer wann wo wie damit zu tun hat, treten andere hervor. Solche Sinnkapazitäten reizen die Künstlerin Anna-Sophie Berger, die nun den Kapsch Contemporary Art Prize erhielt, 2016 erstmals vergeben von Mumok und Kapsch-Group. Für ihre Preisträgerschau Places to fight and to make up (zu der auch ein schönes Künstlerbuch erschien) hob Berger u. a. eine Reihe von Bierbänken aus dem Zeltfest-Kontext, verpflanzte sie ins Mumok.

An der Sitzfläche brutal gebrochen, geben die Bänke gemeinsam mit der Silhouette einer niedergestreckten Till-Eulenspiegel-Figur das Gefühl, hier sei eine Party endgültig vorbei. Für die neue Kommunikation im Vakuum mögen zwei Parabolspiegel stehen, die Berger sich von einem Wiener Spielplatz lieh. Der Witz an dem Physik-Lernspielzeug: Was in den einen Spiegel hineingesprochen wird, ist im anderen, zwanzig Meter entfernten, perfekt zu hören – selbst Flüstern. Noch auf kleine Dinge große Beachtung zu legen, darin besteht eine weitere wichtige Strategie Bergers.

STANDARD: Sie sagten, die Parabolspiegel seien der Kern Ihrer Ausstellung. Was hat Sie daran gereizt?

Berger: Ich habe lange im dritten Bezirk gelebt und bin jemand, der sich die Stadt langsam und gründlich anschaut. Als Objekte sind mir die Spiegel immer aufgefallen. Dann hab ich sie ausprobiert und fand den Effekt fast mystisch. Es gab dann in meinem Freundeskreis diesen Witz: Wenn etwas schwer auszudrücken ist, sagt man sich's lieber durch diese Spiegel. Im weiteren Sinn interessierte mich: Was heißen die Objekte für den Ort? Für wen sind sie da, wer freut sich, wem entsteht ein Mehrwert? Wichtig ist auch, dass Mumok-Besucher die Möglichkeit haben, sich im Dritten die entstandene Leere anzuschauen.

STANDARD: Wie reagierte die Stadt auf Ihre Anfrage?

Berger: Ich musste schmunzeln, wie leicht es ging. Die meinten: Mumok? Super, das ist ja eine Aufwertung. So interpretiere ich zumindest die Tatsache, dass innert eines Vormittags die Zusage kam.

STANDARD: Die Graffitis und Verschmutzungen haben Sie bewusst auf den Objekten belassen ...

Berger: Hier steht etwa "Deniz ist ein schwul", bei dem anderen Symbol weiß man nicht, ob es ein Anarchie- oder ein Atom-Zeichen ist. Spannend finde ich die Diskrepanz zwischen dem, was wir hier im – fast antiseptischen – Museum lesen, und dem, was es dort unter Jugendlichen heißt.

STANDARD: Der niedergestreckte Gaukler ist ein eher pessimistisches Bild. Ist es auch auf die Kunst gemünzt, die ja mitunter gewisse Hofnarren-Aufgaben übernimmt?

Berger: Es geht drum: Was weiß und will die Figur? Wie geht's ihr damit, neben einem Herrscher zu agieren? Ist sie gescheitert? Hält sie ihren Zustand nicht aus? Das reflektiert natürlich auch die Künstlerfigur: Humor verwenden können als Macht. Man steht ein bisschen draußen aus der Gesellschaft – man kennt das ja auf dem Land: Mein Papa sagt zu mir zum Beispiel scherzhalber "Na, die Künstlerin!", wenn ich mein Handy fallen lasse. Ich habe sozusagen Narrenfreiheit.

STANDARD: Sehen Sie sich also als "Närrin"?

Berger: Ich hab mich viel mit der Frage beschäftigt, wie viele Freiheiten es für weibliche Positionen gibt. Gibt's diesen Begriff von einer Person, die rausgeht, alles niederreißt und einfach nur ihr Ding macht, auch als Frauenfigur? Ich nehme mich selbst schon so wahr, würde das gern umsetzen. Wobei es mir nicht um distanzierten, zynischen Humor geht. Bei mir gibt's auch immer Pathetik, Wehleidigkeit, Nostalgie. Ich bin niemand, der sich ins Fäustchen lacht und zuschauen will.

STANDARD: Sie meinten bei der Preisverleihung, Sie würden nicht nur zwischen, sondern "mit den Dingen leben". Was heißt das?

Berger: Es gibt diese Auffassung, dass alle Dinge, die uns umgeben und die nicht "Seele" sind, falsch sind: "Am besten wär ich nackt, weil dann wär ich nicht umgeben von einer falschen Hülle". Und ja, natürlich können wir dadurch täuschen. Aber ich glaube auch, dass Menschen über Objekte Gefühle und Wünsche zeigen. Mir geht's drum wahrzunehmen, dass es etwas bedeutet, dass ich meiner Mutter einen Löffel schenke und sie ihn putzt oder reparieren lässt. Er steht für die Zeit, die wir miteinander verbringen, und das finde ich etwas Poetisches, Schützenswertes. Dieser Aspekt geht in Diskussionen über materielle Kultur oft verloren, weil wir natürlich kritisch sein müssen. Wir konsumieren zu viel und oft unmoralisch. Mir geht's darum einzugestehen: Dinge sind wichtig – und wenn sie wichtig sind, wie können wir unser Verhalten ändern? Wenn ich aufhören will, Fleisch zu essen, muss mich zuerst fragen, wieso Essen wichtig ist und wieso mir Fleisch schmeckt. Dann kann ich vielleicht etwas ändern.

STANDARD: Das genaue Hinschauen auf ein winziges Ding spielt beim "Erbsenohrring", einem Schmuckstück aus einem Erbsensamen, eine entscheidende Rolle.

Berger: Ich wollte von einem banalen, unwichtigen Objekt ausgehen, in diesem Fall Erbsensamen, die sich alle ähnlich sehen. Beim Goldschmieden merkt man aber, dass das gar nicht so ist. Manchmal handelt es sich fast um einen halben Millimeter Unterschied. Für den Schmied heißt das, dass er die "Klaue" um jeden Samen individuell biegen muss. Das ist wieder ein Aufwand, der mir Freude macht, weil er darauf verweist, dass man etwas Unmanipulierbares vor sich hat, etwas, mit dem man sich abfinden muss. (Roman Gerold, 5.11.2016)