Spracherwerb zählt zu den wichtigsten Faktoren für Integration. Väter befürchten oft Entwurzelung.

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Wien – Er müsse sich mit Dingen auseinandersetzen, mit denen ein autochthoner Jugendlicher sich nicht beschäftigen muss, erzählt Haseeb Adalatyar. "Die Menschen fragen mich oft nach einem Anschlag, ob ich auch etwas mit dem IS zu tun habe. In der Schule bin ich der Erste, der zu Terror seine Meinung abgeben muss." Der 17-jährige Gymnasiast lebt seit 16 Jahren in Wien, geboren wurde er aber in Afghanistan. Mit 59 weiteren Söhnen im Alter zwischen zwölf und 23 Jahren und 40 Vätern wurde er im Auftrag von Frauen ohne Grenzen und dem Sozialministerium zum Thema Migration und Integration befragt. Rund die Hälfte beider Gruppen hat selbst Migrationshintergrund.

"Es ist schwer. Ich muss mich immer der Frage stellen, ob ich jetzt eigentlich Afghane oder Österreicher bin", sagt Adalatyar. So wie ihm gehe es vielen Jugendlichen. Ein großer Faktor sei hierbei die Sprache, sagt Ulrich Kropiunigg, Professor für medizinische Psychologie an der Medizin-Uni Wien, der die qualitativen Interviews der Studie "Väter und Söhne – Zwischen zwei Welten" begleitete.

Doppelte Bildung

Durch den Spracherwerb komme es zu einer "doppelten Bindung". Weil die Väter migrantischer Jugendlicher noch immer die Rückkehr in die Heimat im Hinterkopf hätten, würden sie die Annahme der deutschen Sprache als Aufgeben dieser Sehnsucht ansehen. Die Schwierigkeit für die Väter bestehe darin, dass sie in der Ankunftsgesellschaft oft einen niedrigeren beruflichen Status haben.

"Wenn die Kinder Deutsch lernen, wachsen sie in die Kultur hinein und entfernen sich von den Wurzeln ihrer Väter", sagt Kropiunigg. Die Söhne hätten nicht den Traum der Rückkehr. Sie müssten den "Spagat zwischen ihren zwei Welten" leisten. "Familie und Gesellschaft fordern beide ihre Anpassung", sagt Edith Schlaffer, Direktorin von Frauen ohne Grenzen. Die jungen Männer seien daher "insgesamt verunsichert". Mit ihnen müsse der Dialog gesucht werden, bevor sie einen "Einfluss von falscher Seite" bekämen.

Konfliktzonen würden sich in der Erziehung auftun. Hier könne man autoritäre Muster erkennen. "Die väterliche Autorität steht bei Migranten im Fokus", sagt Schlaffer. Während autochthone Väter ihren Söhnen freie Hand bei Ausbildung und Lebensgestaltung lassen würden, bestünde in Familien mit Migrationshintergrund ein viel höherer Druck, eine bessere Qualifikation als die Eltern zu erreichen. Auch das habe mit der beruflichen "Deklassierung" der Väter in der neuen Heimat zu tun, sagt Kropiunigg.

Gegen Parallelgesellschaften

Um Jugendliche bei ihrer Identitätssuche abzufangen und Parallelwelten zu verhindern, will Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) den Dialog suchen. "Die Jugendlichen sind in hohem Maße integrationsbereit." Die Integration müsse am ersten Tag beginnen, sagt Stöger. Ein verpflichtendes erstes Integrationsjahr solle helfen. Auch müsse die "Spaltung am Arbeitsmarkt" verhindert werden. "Ich will keine Ein-Euro-Jobs, keine Billiglöhne." Migration dürfe nicht zur schlechteren Bezahlung führen.

Adalatyar will eine Zukunft in Österreich aufbauen und Fußballprofi werden. Falls das nicht aufgeht, gibt es einen Plan B: ein naturwissenschaftliches Studium. (Oona Kroisleitner, 3.11.2016)