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Justin Trudeau feiert dieser Tage sein erstes Amtsjahr als kanadischer Premier.

Foto: REUTERS/Chris Wattie

Während die USA von Wahlturbulenzen erschüttert werden, zelebriert Kanada die Idylle: Verkleidet als Pilot aus dem berühmten Buch "Der kleine Prinz", ging Premier Justin Trudeau jüngst zu Halloween mit seinen drei Kindern von Haus zu Haus. Kein Gruselkostüm für den Regierungschef – er ist der gut aussehende Held und Retter.

In seiner ersten Rede vor der Uno hat der jugendlich wirkende 44-Jährige an die Politiker appelliert, nicht die Ängste der Bürger auszubeuten, sondern sie aufzufangen. Der selbsterklärte Feminist ist dank seiner Ausstrahlung und seiner Aufrufe zu Toleranz und Mitgefühl zur Lichtgestalt geworden. Trudeaus einnehmende Art und sein entspanntes Selbstbewusstsein wecken Begeisterung – die zumindest in Kanada auch nach einem Jahr noch immer anhält: Laut jüngsten Umfragen stehen zwei von drei Kanadiern hinter ihm. Trudeaus Liberale Partei ist sogar noch populärer als am 4. November 2015, dem Tag der Vereidigung des Trudeau-Kabinetts. Seine politischen Gegenspieler hatten ihm damals kurze Flitterwochen vorausgesagt: Die harte Realität werde den ehemaligen Lehrer, Türsteher und Snowboardtrainer rasch einholen, der außer einem berühmten Namen – Vater Pierre war zwischen 1968 und 1984 insgesamt elf Jahre Kanadas Premier – keine Ahnung von der Politik habe. Bisher aber können ihm Kritiker keinen schweren Fehltritt nachweisen.

Hinter den effektheischenden Bildern – Trudeau und seine Frau Sophie Grégoire in der Modezeitschrift "Vogue", Trudeau im rosa Hemd bei der Pride Parade in Toronto, Trudeau mit bloßem Oberkörper am Strand in Tofino, Trudeau mit Schauspielerin und Uno-Botschafterin Emma Watson beim Gespräch über Gleichberechtigung – verschwinden seine politischen Bemühungen etwas.

"Robuster als erwartet"

Doch der Regierungschef hat auch wichtige Wahlversprechen eingelöst: So erhöhte er die Kinderzulagen, senkte das Pensionsalter wieder von 67 auf 65 Jahre, brachte 25.000 syrische Flüchtlinge ins Land und empfing selbst die ersten Familien am Flughafen. Er senkte die Steuern für mittlere Verdiener und erhöhte sie für Reiche. Er verbesserte Kanadas Beziehung zu den USA, zog die kanadischen Bomber aus Syrien und dem Irak ab und besetzte die Hälfte der Ministerposten mit Frauen, "weil wir 2015 haben". Kürzlich unterzeichnete er den Freihandelsvertrag mit der Europäischen Union in Brüssel. Kanadas Premier habe sich "als robuster erwiesen, als man erwartet hätte", urteilte die Zeitung "The Globe and Mail", die seine Wahl im Vorjahr nicht unterstützt hatte.

Trudeau ist vorerst glaubwürdig geblieben. Aber er hat auch große Hoffnungen geweckt, etwa bei den Ureinwohnern, die sich bessere Lebensbedingungen wünschen, bei Umweltschützern, die gegen den Bau von Pipelines sind, bei jungen Verschuldeten und bei der Mittelschicht, die auf einen Wirtschaftsaufschwung hofft. "Lasst uns mit Hoffnung und harter Arbeit weitermachen", schrieb er zum Jubiläum – das wird er auch brauchen, will er an diesen Erwartungen nicht scheitern. (Bernadette Calonego aus Vancouver, 4.11.2016)