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Das Wort Greißler beinhaltet allerhand Sandiges und Körniges.

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Einkaufen beim Greißler.

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Zum Beispiel Aufschnitt.

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Auch das "Café Salzgries" gibt es nicht mehr.

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Die Greißler1 mögen zwar ausgestorben und Supermärkten mit Feinkostabteilung gewichen sein, aber die den Greißlern zugeschriebene Kleinlichkeit behauptet sich als Greißlermentalität noch immer hartnäckig in unserem Wortschatz. Im Großen und Ganzen bekam man ja früher im Greißlerladen ums Eck so gut wie alles für den täglichen Bedarf, angefangen von Glühbirnen, Streichhölzern, Ansichtskarten, Grabkerzen, Zigaretten und Kaugummi bis hin zu Lebensmitteln, Brot und Wurst. Und Grieß für einen köstlichen Grießschmarren mit Apfelmus.

Auch in der Roten Grütze steckt Grieß. Rote Grütze (mittelhochdeutsch grütze "geschälte, grobgemahlene Getreidekörner, Brei aus diesen Körnern") ist eine in der skandinavischen Küche und im Norden Deutschlands beliebte Süßspeise, die mit dem Saft roter Beeren und Grieß oder einem anderen Bindemittel zu einem Brei gekocht wird. Das Idiom "Grütze im Kopf" ist jedoch doppeldeutig. Je nach Kontext wird einer derart beurteilten Person entweder mangelnde ("... hat nur Grütze im Kopf") oder überragende Intelligenz ("dazu braucht man eben Grütze im Kopf") attestiert.

Nun lassen sich die Wörter Grieß, Greißler, Grütze und einige mehr, wie wir noch sehen werden, sehr schön in das Ablautschema der II. Ablautreihe2 einordnen.

Wir tun also das Getreidekörnchen dorthin, wo der Grießbrei seinen Ursprung hat und stoßen auf die indogermanische Vollstufe *ghreud-, die im starken Verb althochdeutsch (fir)grioʒan, mittelhochdeutsch grieʒen (grôʒ – gruʒʒen – gegroʒʒen3) "zerreiben, zerkleinern, zermalmen" weiterlebt. Und wenn Sie in englischsprachigen Ländern mit den Zähnen knirschen, you grit your teeth. Jemand hat Ihnen Sand ins Getriebe gestreut? Grit your teeth4 and face the situation even if it’s hard.

Mittelhochdeutsch grûʒ bezeichnet sowohl das Sandkorn als auch das Getreidekorn, und griuʒe bedeutet "enthülste Körner, Grütze". Demnach war der griuʒeler5 einer, der mit grûʒ und griuʒe handelte.

Eine ganz andere Entwicklung nahm altenglisch grūt "grobgemahlenes Mehl". Was im Deutschen in der Küche Verwendung findet, wie etwa Grieß und Grütze, findet man in englischen Baumärkten, denn grout (aus altenglisch grūt) bezeichnet heute Mörtel, Fugenkitt und Vergussmaterial.

Und der sandige und körnige Bedeutungsbestandteil gab auch den Ausschlag für die vielen Orts- und Straßennamen in Österreich und Deutschland, die "Gries" beinhalten, wie Gries am Brenner oder Gries im Pinzgau, Grieskirchen in Oberösterreich, Gries (V. Bezirk von Graz), Am Gries (Einkaufsstraße in Salzburg) oder Salzgries in der Wiener Innenstadt. Diese Toponyme, deren Schreibung mit -s- nicht der etymologisch richtigen entspricht, weisen auf Schotterbänke bzw. sandiges Ufer in Flussnähe hin oder auf Untergrund aus Kies.

Denn die Grundbedeutung "(grob)körnig" finden wir sowohl in Grieß als auch in den entsprechenden Toponymen (althochdeutsch grioz "Sand, Kies, Gestade", mittelhochdeutsch grieʒ "Sandkorn, (Ufer-)Sand, Ufer, Kies, sandbedeckter Platz; grobgemahlenes Getreide, Grießmehl", altenglisch grēot "Grieß, Sand, Erde"). Auch im Italienischen findet sich entlehntes greto als Kiesbett und Ufersand, und französisch grès entpuppt sich als Sandstein.

Neuenglisch grit "Sand, Gesteinszerreibsel, Kies, Streumittel" (altenglisch grytt "Grütze, Kleie, Spreu", abgeleitet von der Schwundstufe *ghrud-) hat seit Beginn des 19. Jahrhunderts die Nebenbedeutung "Entschlossenheit, Schneid‘, Mumm" angenommen. In der aktuellen November-Ausgabe von Psychologie Heute kann man lesen, dass Grit eine äußerst erfolgversprechende Charaktereigenschaft ist, die sich aus Beharrlichkeit und Leidenschaft zusammensetzt. Diese neue Bedeutung von Grit lässt sich vielleicht auf die Fähigkeit zurückführen, sich an Widerständen zu reiben, ohne sich zerreiben zu lassen, um bei der Ursprungsbedeutung zu bleiben.

Aus der abgetönten Vollstufe *ghroud6- entwickelt sich lautgesetzlich mittelhochdeutsch grôʒ "dick, stark, groß, ungeschickt", altenglisch grēat "groß, weit, dick, grob", neuenglisch great.

Ausgehend von der Grundbedeutung "grobkörnig", dann "grob und feist", ersetzt mittelhochdeutsch grôʒ mit vergrößertem Bedeutungsumfang das alte Wort für "groß", nämlich michel, das altenglisch micel entspricht und als much heute noch viel Gewicht hat. Gleichzeitig tritt mittelhochdeutsch kleine an die Stelle von lützel (altenglisch lytel, neuenglisch little). Dieser Ablösungsprozess scheint Ende des 15. Jahrhunderts ziemlich abgeschlossen zu sein, und mittelhochdeutsch michel und lützel sind noch in Ortsnamen konserviert, wie zum Beispiel in Michelstadt in Südhessen, und Lützel finden wir als Ortsteil in Koblenz.

Kehren wir zum Ausgangspunkt zurück. Ich habe sehr lebendige Erinnerungen an unseren Greißler. Auf dem Weg zur Volksschule kam ich jeden Tag "beim Binder" vorbei, einer Gemischtwarenhandlung ohne Beschränkung, die der Herr Binder im Juli 1961 übernahm und bis 1989 führte. Die Milch wurde damals noch aus der riesigen Molkereikanne in die mitgebrachte Mülipitschn geschöpft. Eine Semmel kostete 55 Groschen. Manchmal wurde das Restgeld in Form von Stollwerck ausgehändigt. Beliebt bei uns Kindern waren auch die PEZ-Spender. Wenn sie gefüllt waren, war das Glück perfekt. (Sonja Winkler, 11.11.2016).