Erdogan habe die Medienlandschaft weitgehend gleichgeschaltet, es werde nur noch Hofberichterstattung geduldet, sagt Rubina Möhring von Reporter ohne Grenzen.

Foto: APA/AFP/ADEM ALTAN

Ankara – Die türkische AKP-Regierung habe den Wunsch und den Willen, kritische Journalisten mundtot zu machen. "So etwas kennt man aus Diktaturen und aus gelenkten Demokratien", sagt Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich, im APA-Gespräch. "In der Türkei gibt es keine Pressefreiheit", meint Möhring. Dieses Grund-und Menschenrecht sei nur noch auf dem Papier existent.

Die in Wien lebende Journalistin und derStandard.at-Bloggerin befindet sich von Sonntag bis Dienstag als Prozessbeobachterin in der türkischen Bosporus-Metrople Istanbul. Am Montag beginnt das Verfahren gegen Nadire Mater. Die Journalistin und Autorin erlangte Anfang 2001 internationale Bekanntheit, als ihre Interviewsammlung "Mehmets Buch" in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde, auch ins Deutsche.

Das Buch enthält Gespräche, die die Autorin mit türkischen Wehrpflichtigen geführt hat, die ihren Dienst im Südosten ableisteten. Die Autorin wurde damals wegen Beleidigung der Armee angeklagt, ihr drohten bis zu zwölf Jahre Haft. Sie wurde freigesprochen, ihr Buch wurde aber in der Türkei verboten.

Mater ist Mitbegründerin des türkischen Online-Menschenrechtsportal Bianet. Das Portal wurde 2013 von ROG-Österreich mit dem Press Freedom Award ausgezeichnet. Mater nahm damals in Wien den Preis von Möhring entgegen.

Ermittlungen wegen Terrorpropaganda

Am Dienstag beginnt die Verhandlung gegen Erol Önderoglu, seit 1996 Türkei-Korrespondent von ROG. Zudem ist der Journalist Mitherausgeber der Website Bianet. Önderoglu saß im Juni zwischenzeitlich in Untersuchungshaft.

Anlass für die Strafverfolgung gegen Mater und Önderoglu sind deren Teilnahme an einer Aktion der prokurdischen Zeitung "Özgür Gündem". Das inzwischen geschlossene Blatt lud regelmäßig prominente Journalisten und Intellektuelle als Gastredakteure ein, um eine Ausgabe zu gestalten. Die Zeitung protestiert damit gegen das scharfe Vorgehen der türkischen Regierung gegen unliebsame Journalisten.

Sowohl gegen Mater als auch gegen Önderoglu wird wegen Terrorpropaganda ermittelt. Bei einer Verurteilung drohen ihnen bis zu 14 Jahren Haft.

Ein faires Justizverfahren sei nicht sicher, schätzt Möhring den Prozess ein. Denn nahezu alle Justizbeamten seien durch regierungsfreundliche Staatsanwälte und Richter ausgetauscht worden. "ROG rechnet mit einer Rechtsprechung im Sinne des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan", so Möhring.

Gleichschaltung

Durch die willkürliche Verhaftung und Verurteilung von Journalisten sei es verständlich, dass viele mittlerweile schweigen würden. Erdogan habe die Medienlandschaft weitgehend gleichgeschaltet, es werde nur noch Hofberichterstattung geduldet. "Dabei sind seine Schultern stark genug, um Meinungspluralismus auszuhalten."

Den von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) geforderten Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara hält Möhring für eine schwierige Entscheidung. Die Gespräche seien ein notwendiger Dialog, "ein dünner Faden, den man nicht abreißen lassen sollte."

Würden die Gespräche eingestellt, "dann wird die Situation für regierungskritische Journalisten in der Türkei noch schlimmer". "Wenn alle kritische Stimmen in einem Land ausradiert werden, dann wird es Generationen dauern, bis die Atmosphäre der Angst und Anpassung wieder verschwunden ist", warnt Möhring. (APA, 6.11.2016)